Welche Funktion brauchen das Genick und der Kiefer?

Auf dem Foto sehen Sie welche Druckpunkte eine „normale“ oft verwendete Zäumung bei Pferd erzeugt. In diesem hochkomplexen Gebilde, wie es der Genick-Kiefer-Zungenbein-Komplex ist, bedeutet jeder kleinste Druck – wirklich jeder – einen massiven Eingriff in das Wahrnehmungsgefüge des Pferdes.

Wenn man weiß, welch körperlicher und psychischer  Beeinträchtigung, die traditionellen Zäumungen aber – und das ist oft nicht so bekannt, auch die Gebisslosen Zäumungen auf das Pferd haben, dann versteht man, dass die Verwendung dieser Dinge kein „Kavaliersdelikt“ ist, sondern eine schmerzhafte Ausrede dafür, sich nicht mehr mit dem Kiefer des Pferdes beschäftigen zu wollen. Und um sich nicht darüber ärgern zu müssen, wenn das Pferd einen – absolut berechtigten Widerstand – zeigt. Das ist ähnlich,  als wenn sie den Bleistift für ihre Rechtschreibfehler verantwortlich machen und ihn aus Wut zerbrechen.

Es gibt KEINE Ausrede und Entschuldigung für das, was traditionelle Zäumungen und „Nicht-Zäumungen“ mit dem Pferd machen. Und wenn ein Reiter vielleicht doch eine Ausrede finden sollte, dann muss er  noch seinem Pferd erklären, warum er ihm am Kopf – da, wo Bewegung und Leben entsteht – bewusst so weh tut.
Lösen Sie sich von den althergebrachten Vorstellung der Beeinflussung am Maul und schauen sie welches Unheil die traditonellen Zäumungen, aber auch die Gebisslose Zäumung dem Pferdekörper, aber vor allem der Psyche des Pferdes bringen:

Das Kausystem

Überraschender Weise gibt es beim Pferd meines Wissens noch keine Studien wie sich die Einschränkung der Kieferbeweglichkeit auf die körperliche Bewegungsfähigkeit oder die Leistungsfähigkeit des Pferdes auswirkt(Mit Leistungsfähigkeit meine ich nicht schneller-weiter-höher, sondern die Leistungsfähigkeit des Organismus)

Beim Menschen gibt es diese Untersuchungen und Studien –aus aktuellen Anlässen – sehr wohl. Beim Pferd müssen wir demnach auf Beobachtungen zurück greifen. Da ich mich schon seit vielen Jahren mit der Funktion und den vielfältig ausgelösten Dysfunktionen des Unterkiefers beim Pferd beschäftige, kann ich sicherlich wichtige Erfahrungen dazu beisteuern. Wenn man sich allerdings auch nur ein bisschen mit der Funktion des Unterkiefers beschäftigt, merkt man sehr schnell selber, welch massive Beeinträchtigung die konventionellen  Zäumungen gegen die Natur des Pferdes sind…

…die eigentlich kein Reiter mehr bewusst mit ruhigen Gewissen machen kann – denn die Auswirkungen auf die Bewegungen, auf die Körperhaltung, auf das Kau- und Atemsystem des Pferdes sind – ich wiederhole mich – massiv. Und mit keiner Reitweise zu entschuldigen. Gerade deshalb – aufgrund der vielen Beobachtungen bezüglich des Gebisses, Sperrriemen und Co. setze mich seit dafür ein, dass eine Zäumung NUR die Funktionen des Unterkiefers und Pferdekopfes UNTERSTÜTZT und nicht BEEINFLUSST. Bitte überprüfen auch Sie die Kriterien dafür:

Die Funktion des Unterkiefers braucht Bewegung…

…und zwar eine ungestörte Bewegung. Eine Änderung der Unterkieferfunktion wirkt sich auf die Körperhaltung aus und umgekehrt hat eine Änderung der Körperhaltung ebenso Auswirkungen auf die Unterkieferposition. Was sich  – eigentlich logisch –  im ganzen Pferdkörper bis hinunter auf den Aufprall des Hufes auswirkt, und das Abrollen des Hufes verhindert. Auch die Wirbelkette wird durch eine Dysfunktion des Kiefers (durch den Funktionszustand des Kauapparates) negativ beeinflusst. Das Pferd leidet also an Funktionsstörungen der Wirbelkette, wenn der Kiefer sich nicht ordnungsgemäß bewegen kann.

Ordnungsgemäß heißt in dem Fall: der Unterkiefer muss sich FREI gegen den Oberkiefer bewegen können. Und zwar abwechslungsweise drehend nach rechts und nach links (Das ist weder mit einem Reithalfter, Kappzaum, Gebisslosen Zäumung, Knotenhalfter und schon gar nicht mit einem Sperrriemen möglich).

Nicht nur beim Fressen muss sich der Kiefer bewegen, sondern IMMER. Auch beim Reiten. Jede – wirklich JEDE nicht ausgeführte Bewegung des Kiefers hat ihre Auswirkungen, auf die Funktion des Zungenbeines, der Zunge, der Zähne, des Kiefergelenkes, den Halsaufbau, des Schultergürtels, des Beckengürtels, der Atmung, des Stoffwechsels, der Organe und natürlich auf das Genick und damit auf die Nervensysteme des Pferdes.

Der Druck auf die Hirnnerven

Der Druck auf die Hirnnerven ist mit der Genick- und Kieferbelastung enorm. Wenn man sich vorstellt, das jeder Wahrnehmungssinn aus einem eigenen Hirnnerv entsteht – kann man sich mit Genickdruck vorstellen, wie buchstäblich „abgetrennt“ von seinen Sinneswahrnehmungen das Pferd durch die Gegend laufen muss. Besser verständlich wird uns das, wenn wir uns das alte „Blinde-Kuh“ Spiel dazu vorstellen, dass uns aber lediglich einen Sinnesreiz nimmt. Auch auf dem Foto links kann man die Beeinträchtigung der Hirnnerven am kleinen Auge (im Gegensatz zu groß und strahlend) feststellen.

Zähne

Wird – durch den Sperrriemen oder das Reithalfter der Radius der Kaubewegung verkleinert, kann das Pferd die Zähne nicht mehr vollflächig abkauen – und es entstehen Haken. Leider verkleinern die Haken, den Bewegungsumfang des Kiefers noch mehr. Die Kiefergelenke des Pferdes werden dabei sehr stark belastet.

Das Zusammenpressen der Zähne ist im Körperprogramm des Pferdes nicht vorgesehen (genau wie bei uns, beobachten sie sich mal – ihre Zähne kommen nie aneinander, weder beim Essen noch beim Reden – immer ist die Zunge dazwischen). Das ZähneAufeinanderpressen ist deshalb eine enorme Belastung für das ganze Kau/Atemsystem des Pferdes (der nächtliche Zähneknirscher!)

Das Gähnen

Das Gähnen des Pferdes deutet meist auf Spannungen oder sogar Schmerzen in den Kiefergelenken hin. Das Pferd möchte den Schmerz loswerden – und gähnt. Natürlich bewirkt das Gähnen aber keine Erleichterung – es ist lediglich der „Versuch“ einer Erleichterung – und oft ein sehr ernst zu nehmendes Signal. Sehr häufig entstehen Kiefergelenksarthrosen, Zungenbeinprobleme und Genickspannungen dadurch – oder sind schon entstanden.

Aber die negative Wirkungskette geht weiter durch den ganzen Körper und hat Auswirkungen auf das komplette Bewegungssystem des Pferdes. Zum Beispiel auf die Beugetiefe der Gliedmaßen, der Bewegung der Rückenmuskulatur und des Hüftgelenks und der Beweglichkeit/Dehnfähigkeit der Bein-, Rumpf-, Hinterhandsmuskulatur usw. usw.

Das Genick

Die Zäumungen verändern die Muskelarbeitsweise des Unterkiefers, der in der Relation zum Oberkiefer eine andere Position einnehmen muss. Auch zwischen Unterkiefer, Kiefergelenken und der Kopf- und Nackenmuskulatur gibt es ja einen sehr intensiven Zusammenhang.

Die Psyche des Pferdes

Aber die schlimmste Wirkung ist wohl die auf das limbische System des Pferdes. Auf seine Psyche. Jeder kleine Druck am Kopf, löst im limbischen System, das für Wohlfühlen, Freude, Wahrnehmung zuständig ist, eine ganze Kaskade von negativen Empfindungen aus. Wir kennen das von dem Brillengestell, das irgendwo ein bisschen stärker aufliegt, von Zähnen die nicht aufeinanderpassen, oder von einer Kapuze, die uns einschränkt usw. usw. Das alles wird sofort im Limbischen System „verarbeitet“:

Die Frage, die wir uns alles stellen müssen: wie sollen wir unserem Pferd mit unserem Reiten Bewegungsfreude vermitteln, wenn wir dauerhaft negative Emotionen durch die Zäumung auslösen? Und da haben wir noch nicht die negativen Wirkungen eines feststehenden Gebisses auf die Zunge beobachtet… So und jetzt ist wahrscheinlich ihre große Frage, was das Pferd nicht beeinträchtigt? Die Antwort darauf ist die „Genickentlastung“! Lesen Sie weiter…