Die Selbstaufrichtung ist eine Liebeserklärung an das Reiten.
Ich möchte kein Pferd, dass nur gut unter mir aussieht und das gehorsam die Bewegungen absolviert, zu denen ich es abgerichtet habe. Ich wünsche mir ein Pferd, dass mich nicht braucht, um sich auf seine unverwechselbare, persönliche Weise zu bewegen, aber genauso glücklich ist, wenn wir „Bewegungen“ beim Reiten gemeinsam entdecken.
Ich wünsche mir ein Pferd, dass stolz und erhaben mit seinem Körper umgehen kann, gleichzeitig aber nie das verspielte Fohlen vergisst, dass auch noch in seinem Körper ist. Ich wünsche mir ein Pferd, dass mich auf seinen Rücken einlädt, damit ich meine reiterlichen „Ziele“ erreichen kann, und dem ICH wiederum helfen kann, seine körperlichen „Ziele“ zu erreichen. Ich wünsche mir ein Pferd, dass nicht abhängig von meinen Reaktionen ist, sondern, wenn ich ängstlich bin, auch mal „übernehmen“ kann.
Ich wünsche mir ein Pferd, dass so spielerisch und vielfältig in seinen Bewegungen ist, dass es mich jeden Tag aufs Neue überrascht und von dem ich dabei noch immer so viel lernen kann. Ich erschaffe dem Pferd gerne den Raum dazu – auch dafür, dass es mir durch seine Bewegungen seine Welt erklären kann. Es ist ein Pferd, dass seine natürlichen Bewegungserfahrungen selbst machen kann, damit es mir, durch seinen Körper davon erzählen kann.
Ich wünsche mir ein Pferd, dass lebendig ist – und ich wünsche mir von mir, dass ich nie langweilig für mein Pferd bin – denn unser Reiten soll leicht wie ein beiläufiger Flirt sein. Aber vor allem möchte ich meinem Pferd dabei helfen, damit es sich in seinen Bewegungen besser kennen lernen und sich immer weiter in seinem Körper entwickeln kann.
Evolution eben…
Reiten in unserer heutigen Zeit
Ein anderer Fokus verändert ihr Reiten um 180 ° – es wird für Sie nicht mehr wichtig sein, wie jemand anderes reitet, oder Tipps dafür zu bekommen, wie Sie mit den Widerständen des Pferdes umgehen sollen, auch nicht welche Bewegungen sie mit ihrem Pferd einzustudieren müssen, um es zu „treiben“, zu biegen, im Genick zu stellen oder seinen Kiefer „weich“ und gefügig zu machen.
Damit sich die „natürliche Aufrichtung“ während des Reitens weiterentwickeln kann
Sie werden stattdessen alles in sich aufsaugen, damit ihre Schultern für ihre Zügelhände durchlässig sind und auch wie IHR Körper in Aufrichtung kommt, damit sich die Zügel geschmeidig an den aufgerichteten Pferdehals anlegen und mit dem Pferdemaul eine weiche, aber konstante, sprechende Verbindung herstellen können. Um dann spielerisch die tänzerische Selbstaufrichtung des Pferdes verfeinern zu können – bei der das Pferd seinen Körper nach seinem Maß organisieren, regulieren und die Bewegungen koordinieren kann.
Ganz klar ist: Bewegung tut dem Pferd gut – sie ist für das Pferd sogar überlebenswichtig. Aber eben nicht jede – wie die enorme Inanspruchnahme von tierärztlicher oder therapeutischer Maßnahmen leider deutlich machen. Die meisten einseitigen Bewegungen – die das Pferd beim Menschen machen muss – überfordern die Gelenke und auch die Muskeln des Pferdes. Und was vielen nicht bewusst ist, sind die Spätfolgen: einer vielleicht mal klitzekleinen Gelenkbelastung, eines haarfeinen Muskelrisses oder der Atemnot.
Allein bei einem ganz „normalen“ Schritt, bei dem der Schwerpunkt deutlich nach vorne wandert, wirkt bei jedem Schritt das bis zu sechsfache Körpergewicht auf die Gelenke des Pferdes. Mit der Zusatzlast des Menschen steigert sich die Belastung auf ein Vielfaches. Wenn ihr Pferd an Gelenks- oder Atemproblemen leidet, muss man das sehr ernst nehmen, und schleunigst die Belastung verändern (und nicht mechanisch Aufrüsten). Die im Übrigen durch das-Pferd-nicht-bewegen, stehen lassen und den Pferdekörper in sich zusammensacken lassen nicht besser wird – im Gegenteil…
Muss also der Pferdekörper die Folgen unseres Reitens übernehmen?
Das Schlüsselwort ist die Selbstaufrichtung, die dem Pferd auch mit Zusatzlast freie, fließende Bewegungen und die federnde Leichtigkeit der Gelenke in der Bewegung erlaubt. Was bedeutet, dass wir das Pferd Belastungsfrei reiten können. Wenn sich in einer gleichförmigen, einseitigen Bewegung mit starr gehaltenem, oder irgendwie anders beeinflusstem Kopf die Bewegung wie ein langer langweiliger Strich ist, der den Körper nicht mehr bewegt, dann ist nicht nur die Bewegung tot.
Kraftvolle, starke, bestimmte Bewegungen, aber immer mit Leichtigkeit und Kadenz
Eines der herausragendsten „Kennzeichen“ der „natürlichen Aufrichtung“ bzw. der Selbstaufrichtung ist, dass das der Pferdekörper lernt, sein Gewicht von seinen Knochen „tragen“ zu lassen. Ganz besonders von den großen Gelenken, denn das sind enorme Kraftüberträger, auf die der Pferdekörper nicht verzichten kann. Nur in der Aufrichtung seines Körpers kann das Pferd in eine neuromuskuläre Ganzkörperbewegung kommen und dabei wiederum mit allen vier Beinen mit dem Boden in Kontakt kommen. Sie sehen das, wenn ihr Pferd beginnt auf den Hufen abzurollen und wenn sich die Steifigkeit der Hufgelenke in federnde Schritte wandelt.
Die Vorteile für den Menschen liegen buchstäblich auf der Hand (des Reiters) – der nämlich in der Selbstaufrichtung des Pferdes nicht mehr für die Kopf/Halsposition sorgen muss und auch nicht mehr den Pferderumpf mit den Schenkeln bearbeiten muss, weil ja nun die leisesten Zügelanzüge die Hinterhand zur Mitarbeit animieren. Der Mensch braucht nicht mehr die Muskelkraft des Pferdes zu steigern, (mit der man aufwendig lernen muss, wie man mit ihr umgeht, vor allem wenn sie Widerstand zeigt) weil es jetzt nur noch darum geht, dass das Pferd selbst seine Muskeln gezielt in einfache oder komplexe Bewegungsabläufen einsetzen kann.
In der Selbstaufrichtung des Pferdes wird Reiten zur spielerischen Variante – so wird Reiten zur Kunst
Beim Reiten kommen zwei verschiedene Bewegungsprozesse zusammen – der des Reiters und der des Pferdes. Bestenfalls sind sie miteinander so eng verbunden, wie eine DNA. Diese beiden voneinander unabhängigen Bewegungsprozesse miteinander abzustimmen, sich zu begleiten, ohne sich zu beeinflussen und sich doch gegenseitig zu fördern – das ist in der Tat eine Kunst, die nun aber für jeden erreichbar wird, weil die „Hauptarbeit“ die Körper machen – die es eh viel besser können.
Zum Reiten ist nicht eine Kräftigung der Muskulatur als vielmehr eine Schulung der Koordination (in der Aufrichtung natürlich) erforderlich. Das vereinfacht das Reiten um 95%. Genauso wenig wie man mit einem Fingertrainer zwar die Fingermuskulatur stärken kann, deswegen aber immer noch nicht besser Klavier spielen kann, kann sich das Pferd mit der Zusatzlast seines Reiters nicht geschmeidiger und koordinierter und schon gar nicht kadenzierter bewegen, wenn es auftrainierte Muskeln hat.
Dann aber…
Möglicherweise geht die BIOMOTORIK einen anderen Weg als sie bisher gewohnt waren. Aber warum sollten wir nicht alles dazu tun – auch wenn es erstmal „anders“ ist – um dem Pferd das Reiten zu erleichtern, damit Reiten nicht nur einfach und belastungsfrei wird, sondern damit es Pferd und Reiter einfach nur Freude macht.
Die Beschäftigung mit den posturalen Bewegungen des Pferdes auf die beschriebene Art, geht über reittechnische oder formale Bewegungen des Reitens weit hinaus. Trotzdem müssen Sie nicht ihr gesamtes früheres Reiterleben „vergessen“ oder ihm abschwören. Nein, im Gegenteil – durch ihre bisherigen Reit (oder-auch-nicht) Erfahrungen sind Sie so geworden, wie Sie jetzt sind. Es ist ihre Basis, ihre Grundlage, die man nicht einfach wegradieren kann und sollte…
Deshalb freue ich mich besonders, wenn die „Artenvielfalt“ des Reitens, durch immer neue „Kreuzungen“ – und bereichert durch berufliche, persönliche und reiterliche Erfahrungen – von vielen Reitern und ihren Pferden, mit den Ideen und Anregungen der BIOMOTORIK vermehrt wird.
PS: Je mehr Spaß sie mit ihrem Pferd haben, desto besser