Die Sichtweise der Biomotorik

Mit keinem anderen Lebewesen auf der Welt kommunizieren wir so eng wie mit dem Pferd. Was also liegt näher, als dass wir mit und vor allem auf dem Rücken des Pferdes, die Interaktion – die ursprünglichste Art körperlich zu lernen, genauer betrachten und uns und unsere Körperbewegungen reflektieren können.

Mit dem Pferd teilen wir unsere Körper, unsere Bewegungen, unsere Zeit, unsere Emotionen und leider auch unsere Spannungen und Bewegungseinschränkungen. Rein pragmatisch betrachtet, sollten wir also den Pferdekörper so belastbar wie möglich und unseren Körper und unseren Bewegungen so unbelastend wie möglich machen – denn dass wir ein Lebewesen mit unserer Körperlast belasten – das ist und bleibt einmalig…

In jeder Epoche der Reiterei gab es Reiter, für die der Ausbildungsprozess des Pferdes ein eigener, einmaliger und lebendiger Vorgang ist, der sogar mit den besten Methoden nicht planbar war. Der Fokus lag dabei ebenso auf der Schönheit der natürlichen, gemeinsamen Bewegungen, wie auf dem Einklang mit den anatomischen Gegebenheiten des Pferdekörpers und des Menschen.

Feines Reiten, aber vor allem ein Reiten in Leichtigkeit, beginnt also beim Körper des Menschen

Man könnte die „verkörperte Reiterei“, bei der die Kommunikation und der körperliche Ausdruck von Pferd und Reiter im Vordergrund steht, als eine Art stille Revolution gegen die vorherrschende Dominanz von Reitformen beschreiben, die durch Nachahmung zu erlernen ist und die den stilisierten, strengen, oft militärisch geprägten, technischen Gehorsam des Pferdes überbetont.

Trügerische Muskeln

Auf Muskeln allein, können wir uns weder beim Pferd noch beim Menschen verlassen. Muskeln reagieren tagesaktuell auf Belastungen wie Stress, Ängste und Sorgen, aber natürlich auch auf positive Erlebnisse wie gute Laune und Zufriedenheit. Sie sind ein Barometer unserer jeweiligen emotionalen Stimmung, aber auch ein perfektes Abbild unserer bisherigen Bewegungserfahrungen.

Muskeln zeigen einfach alles…

Über die zentralen Steuerungsprozesse unseres Gehirns erhalten unsere Muskeln Informationen, wie und in welchem Umfang sie sich kontrahieren und wieder entspannen sollen. Es ist eine grandiose Informationsübertragung, die bei den Sinneswahrnehmungen beginnen und über das zentrale Nervensystem in die Muskulatur weitergeleitet werden.

Beim Pferd ist die Signalübertragung kritischer, denn das Gehirn des Pferdes, ist für Stress in jeder möglichen Art und Weise programmiert und sensibilisiert. Die uralten, über Jahrtausende gut ausgebauten Sinnesnetze des Pferdes, sind überlebenswichtig für das Pferd. „Wer eine Gefahr zuerst erkennt, sollte nicht überlegen, sondern wegrennen“: so lautet das Motto der Pferdemuskeln, die Stress geradezu inhalieren, um schnell reagieren zu können.

Damit das in der Herde nicht in einem heillosen Durcheinander und Chaos endet, hat die Natur ein anderes geniales Informationssystem im Körper konstruiert: die geheimnisvolle Interaktion. Geheimnisvoll deshalb, weil bis heute noch nicht endgültig geklärt ist, warum ein Fisch- oder Vogel-schwarm so wundervolle Choreografien erzeugen kann, warum Gänse nie über sich drüber latschen oder sich eben eine Pferdeherde, ohne vorher lang zu diskutieren, in Bewegung setzen kann.

Das alles – also die Informationsweitergaben der Interaktion und die der Sinneswahrnehmungen bilden ganz grob betrachtet, die Säulen der „biomotorischen Methode“ zwischen Mensch und Pferd. Lebendig wird der Inhalt zwischen den Säulen – wie könnte es anders sein – durch die Bewegung der Körper, die ein engmaschiges, aber flexibles Netz von Informationsweitergaben entstehen lassen.

Bewegung umgekehrt

Bewegung geht auch umgekehrt und viel besser und leichter, als wir denken. Aus allen Bereichen des Körpers, aus dem Organsystem, dem Stoffwechselsystem – aber vor allem von allen Strukturen des Bewegungsapparates werden ohne Pause umfangreiche Informationen zum Gehirn geschickt, analysiert und interpretiert. Warum geben wir dem Körper dann nicht „bewegungsfähige“ Signale, und setzen so die Anreize für Ausdauersteigerung, Belastbarkeit und schnellere Regeneration?

Wir alle kennen das Phänomen des Lächelns, das ein große Menge an freudigen Signale in den Körper sendet, auch wenn ihnen so gar nicht danach zumute ist. Wenn Sie ihrem Mund die Aufgabe des Lächelns stellen, werden Sie feststellen, dass sich ihre Laune sofort bessert.

Genauso funktioniert die BIOMOTORIK. Denn wir können dieses Phänomen auch auf den übrigen Körper und seine Bewegungen übertragen, und dem Gehirn statt unbeweglichen, festgehaltenen und erstarrten Signalen eben „bewegliche“ Informationen übermitteln…gut, oder?

Studien belegen mittlerweile (Dr. Rochelle Ackerley), dass die Informationen über das Nervensystem – also aus dem Körper in das Gehirn – auch Bewegungen direkt und unmittelbar verändern können. Muskeln wandeln dabei ihre Sensitivität und Sensibilität, ihre Durchlässigkeit, ihre Geschwindigkeit- und Informationsmenge und modifizieren dabei laufend die Bewegungen. Und dass alles ohne Anstrengung und umfangreiches Muskeltraining – das würde nämlich das Gegenteil bewirken.

Im Unterbewusstsein registriert

Die „Biomotorik“ entwickelt ihren gesundheitsfördernden Effekt auch – oder vielleicht gerade, weil sie auf anstrengende Gelenkbelastungen und auf das Training isolierter Muskeln verzichtet. Wichtig ist ja nur, dass Bewegung eine Intensität erreicht, bei der der Körper spüren kann, dass seine Muskulatur „arbeitet“ – dann können sich die Muskeln an den Reiz anpassen, sich entwickeln und „gesund“ aufbauen.

Beweisführung

Den besten Beweis für die BIOMOTORIK liefert uns – das Pferd. Bei keinem anderen Lebewesen kann man die Reaktionen der Beinstrukturen, der Aufrichtung und der Kopf-Hals-Rumpfanbindung, besser beobachten wie beim Pferd. Die entstehende Durchlässigkeit durch die deutlich stärkere Informationsweitergabe reguliert Organismus, Stoffwechsel und den Bewegungsapparat reflektorisch und unbewusst – und das Beste daran – sie bezieht sich auf den ganzen Körper.

Das ursprüngliche Bewegungsverhalten der „Biomotorik“, bei dem sanfte Bewegungen mit dem zentralen Nervensystem verschmelzen, zeigen eindrücklich, warum die „biomotorischen Bewegungen“ für das Pferd und die „Placements“ für den Menschen so außerordentlich wirksam sind. „Biomotorische Bewegungen“ sind mal langsam, mal behutsam, mal dynamisch und schnell – aber immer fokussiert und helfen dem Körper das Gefühl der Selbstkontrolle wieder zu gewinnen.

Sowohl die „biomotorischen Bewegungen“ als auch die „Placements“ können von Pferd und Mensch jeden Alters und Zustand durchgeführt werden, um sensibler als in unserer heutigen, oft einseitigen, alltäglichen Wahrnehmung – den eigenen Körper zu empfinden, Bewegungen zu erspüren und neu zu entdecken. Sie erzeugen sehr schnell ein körperliches Wohlbefinden – und ein Bewusstsein dafür, dass man Belastungen nicht hilflos ausgeliefert ist.

Bewegungsergänzungen

Für Mensch und Pferd werden damit sowohl die „Placements“ als auch die „biomotorischen Bewegungen“ zu wichtigen „Bewegungsergänzungen“ in unserem mittlerweile an „wertigen“ Bewegungen, so armen Alltag. Die „biomotorischen Bewegungsergänzungen“ helfen dabei, Bewegungsdefizite aufzuholen und sich gegen Stress und körperliche Belastungen zu wappnen. Ihr Körper entwickelt allmählich eine Form, die den Funktionen des Körpers und ihrem Bewegungsapparat genug Raum für Atem gibt. Das Pferd wiederum wird sofort feststellen, wie selbstverständlich es ist, die Stimmigkeit und Verbundenheit der Körper im gemeinsamen Kontakt – der Interaktion – zu fühlen.

Für das Pferd ist die Interaktion selbstverständlich

Wenn man sich die Historie der Reiterei – die immer so zwischen Macht und Dominanz pendelt -anschaut, versteht es sich fast von selbst, dass der Mensch an die Interaktion, die die älteste Form der Kommunikation zwischen zwei Lebewesen ist, erst wieder hingeführt werden muss. Es ist ein anfangs ungewohnter Körperaustausch, der einerseits hochsensibel, feinmotorisch und empfindsam ist, andererseits aber ganz klar mit Grenzen und Grenzsetzungen umgehen kann.

Die „Reiterschulung“ bietet eine hervorragende Möglichkeit um das „authentische Mitteilen“, die allgemeine Koordination und insbesondere die von Auge, Hand und Bein zu schulen und fördert so Reaktion und Feinmotorik.

Die Rückkehr zum Körper – die „Placements“

In den „Placements“ können Sie am eigenen Leib kennenlernen, wie es sich anfühlt Spannungsmuster und Gewohnheiten in einer behutsam Körperregulierten Art und Weise aufzugeben und sowohl die Wiederverbindung mit dem Körper als auch die Entwicklung seiner Funktionen wieder zuzulassen.

Ob für ihren menschlichen Alltag, für die Verbindung zu ihrem Pferd oder für ihr gemeinsames Reiten – Sie gewinnen in jedem Fall. Denn diese Art der Verbundenheit mit seinem eigenen Körper erlaubt ihrem Körper, für sich selbst erfahrbar zu werden. So gelangt ihr Körper buchstäblich Schritt für Schritt, in eine sich immer mehr vertiefende Aufmerksamkeit mit sich selbst, auch mit anderen – aber vor allem eben mit dem Pferd.

Über ihre Möglichkeiten, die die Biomotorik des Pferdes betreffen, berichte ich an anderer Stelle.

Ihre Monika Buhl