Wenn man über Kopf und Hals des Pferdes verfügen kann, verfügt man auch über den Körper des Pferdes, und damit über das ganze Pferd. So weit sind sich die allermeisten Reiter noch einig. In den weiteren Ansichten, und das ist historisch gut belegbar, haben sich die „Geister schon immer geschieden“. Damals wie heute, gibt es verschiedene Auffassungen und Streitgespräche darüber, wie man am besten den Pferdehals runden und den Kopf des Pferdes damit verfügbar machen kann.
Von hinten nach vorne an die Hand reiten
Eine interessante Metapher zu dieser Art den Kopf des Pferdes verfügbar zu machen, verwendete Graf d´Aure selbst, der die Methode vertrat, Kopf und den Hals des Pferdes gleich zu Beginn der Ausbildung „einzustellen“ – also mechanisch zu fixieren. Er verwendet zu seiner Erklärung das Bild eines Floretts, das vom Fechter gegen eine Wand gedrückt wird und sich unter dem Druck rundet.
Im besten Fall hat der Reiter dazu „durchlässige“ Hände und kann die Bewegungsenergie des Pferdes durch den Pferdekopf in den Körper zurück „fließen“ lassen. Man kann deshalb nicht behaupten, dass diese Methode nicht funktionieren würde – aber der Hals des Pferdes ist sehr stark mit der Qualität und der Geschicklichkeit des Reiters verknüpft und von seinen manuellen Handlungen abhängig.
Die Gefahr bei dieser Methode lauert also in der Hand eines starren Reiters, das System bewertet infolgedessen „gute“ und „schlechte“ Reiter. In dem mechanischen Bearbeiten des Halses (die bekannteste „Auswirkung“ ist die Rollkur) entsteht eine angestrengte Spannung im Pferd – aber natürlich auch im Reiter, der ja den Pferdehals permanent „kontrollieren“ muss. Die Gefahr des „Sich-Verkriechens“ oder „Sich-Verhaltens“ des Pferdes ist enorm groß, da das Pferd sowohl sein Körpergefühl als auch seine selbstregulierende Fähigkeit zur Aufrichtung verloren hat.
So bleibt die Bewegungsenergie gerne im Kopf des Pferdes stecken, Widerstände und Spannungen sammeln sich in Genick und Kiefer. Der Pferdehals steht und fällt buchstäblich mit den Händen des Reiters, der das Gefühl von zu viel und zu wenig Kontrolle entwickeln muss, um den Bogen des Halses gespannt zu halten. Wichtig für diese Art der Halsrundung, der sich eher in der Länge rundet, ist das geradegerichtete „frisch“ vorwärts gehende Pferd. Dazu verwendet man „Ausbinder“ und geraderichtende Hilfszügel. Sogar der Kappzaum wird mit Ausbindern benutzt, damit das Pferd ja nicht im Genick „abbricht“ und sich in den empfindlichen Genickwirbeln „verstellt“.
Lange allerdings kann der Pferdehals diese mechanisch hergestellte unnatürliche Spannung nicht beibehalten, es muss seine gespannten Strukturen „entspannen“, sich in Hals und Körper „dehnen“ und lang machen, damit es genau die Widerstände abbauen kann, die zuvor aufgebaut worden sind.
Weil durch die starke Kopffixierung, der Hinterhand die Bewegungsenergie verloren geht – wird das Körpergewicht des Pferdes mechanisch auf die Hinterbeine gebracht – „es wird auf die Hinterhand gesetzt“ und dort fixiert. Die Bewegungen des Pferdes müssen dazu „erzogen“ und „trainiert“, betont und touchiert und durch Wiederholungen in den Muskeln gestärkt werden.
In der entstehenden „Überladung“ und durch das mechanische Herholen der Hinterbeine wird der Rumpf überanstrengt – verkrampft und spannt sich genau in dem Körperbereich, wo das Pferd seinen Hals selbst aufrichten und runden könnte – der Rumpf verliert seine Flexibilität in den Rippen und seine Verfügbarkeit. Der Lendenbereich (Becken-Lendenübergang), wichtig für eine autonome Rundung des Halses, spielt also eine eher untergeordnete Rolle. Eine rotierende Ausweichbewegung in den Hüftgelenken, bei dem sich das Pferd in den Hüften „wiegt“ wird durchaus toleriert.
Geraderichtung ist das Gebot der Stunde
Die eigenständige Versammlungsfähigkeit des Rippenkorbes und die Rundung des Pferdehalses steht für das Geländereiten, das Sportreiten, das Springen und die schnellen Bewegungen nicht im Vordergrund, denn der Pferdehals rundet sich an der Hand des Reiters – der Reiter „formt“ das Pferd. Sehr wohl aber die laterale Biegsamkeit beim Pferd – die Biegung von der Nase bis zum Schweif.
Dieses System entspricht in unzähligen Varianten auch vielen heutigen Methoden, bei denen das Pferd mittels Schenkel von hinten nach vorne auf die Schulter und in die Hand hinein „getrieben“ wird. Und – man brauchte systematische „Reitlehren“ um unerfahrenen Reitern, wie auch dem unerfahrenen Pferd die Methodik systematisch beizubringen.
Die Halswirbelkette an den Rumpf des Pferdes heranholen
Die zweite „Methode“, um den Hals des Pferdes zu runden, kann man Francois Baucher zuschreiben, der vor allem in seiner „ersten Manier“, den Hals des Pferdes weich und für den Menschen gefügig machte. Man kann sich deshalb unschwer vorstellen, das Graf d´Aure und Francois Baucher in ihren gegensätzlichen Sichtweisen nie zusammen gekommen sind, obwohl Baucher in seiner „zweiten Manier“ die „Gefährlichkeit“ seiner Handlungen für den Pferdehals erkannte.
Versucht man wie in Bauchers „erster Manier“ den Hals des Pferdes zu runden, indem man die „instinktiven Kräfte“ des Pferdes vollkommen aufhebt, muss man die fehlende Bewegungsenergie des Pferdes durch die gleichzeitig eingesetzten „Hilfen“ von Schenkel und Zügel ersetzen. Vor allem die „Sporenattacke“ sollte dabei den Effekt haben, die Aufmerksamkeit des Pferdes zu erlangen und die Hinterbeine des Pferdes unter den Körperschwerpunkt zu bringen.
Das Pferd wird systematisch in jedem einzelnen Körperteil biegsam und geschmeidig gemacht, um alle Widerstände gegen den Menschen aufzuheben – zuerst an der Hand, und dann unter dem Sattel. Das effet d´ensemble – eine Kombination aus verhaltenden und treibenden Hilfen soll den Kiefer zum Nachgeben bringen, die Hinterhand mobilisieren und die Halswirbelkette des Pferdes bei gerade gestellten und gedehntem Hals immer näher an den Rumpf bringen.
Das Pferd liefert sich dabei mit seinem ganzen Körper dem Menschen aus. Die Hals- und Kieferflexionen, die das Pferd in seinem Hals „Stellen“ und „Abbrechen“ verlangen vom Reiter extrem viel Fingerspitzengefühl – immerhin werden dabei die Genickwirbel und Hirnnerven des Pferdes manipuliert – und führten aus diesem Grund, trotz mancher „kurzfristiger Erfolge“ bereits zu Zeiten Bauchers nicht zum gewünschten gerundeten Hals – sondern zu Desastern.
Baucher „widerrief“ seine eigene Methode und wurde nach seinem Unfall sanfter und verwendete nicht mehr die Kandare, sondern die Trense, trotzdem bereitete er weiterhin den Hals des Pferdes mechanisch auf seine hohe Einstellung vor. Diese Manipulationen des Pferdehalses – aus anatomischer Sicht ein äußerst heikles Verfahren, hält sich bis heute hartnäckig in der Reiterwelt.
Wenn zwei „Methoden“ vermischt werden und es sich der Mensch „leicht“ macht
Wurde die Methode von Baucher schon in seiner Zeit von Reitexperten als gefährlich eingestuft, so ist es heute die Vermischung beider „Methoden“, bei der nichts Gutes für das Pferd entsteht.
Wurde das Pferd noch zum „Treiben“ von hinten geradegerichtet (Steinbrecht …) damit die Bewegungsenergie durch den ganzen Körper des Pferdes fließen kann, wird in der „Vermischung“ beider Methoden das Pferd zwar nach wie vor von hinten nach vorne getrieben – zugleich aber in seinem Genick durch die Hände des Reiters manuell und mechanisch gestellt, „leicht“ gemacht und flexioniert – beim absolut fixierten Pferdekopf, in seinem Genick „abgebrochen“.
Die Folgen sind so logisch, wie unausweichlich – das Genick des Pferdes wird zum Sammelpunkt von Widerständen aller Art, ein „Sammelbecken“ von Spannungsmustern auch für den Rumpf, der nicht mehr gerade „ausgerichtet“ ist und keine versammlungsfähigen Rippen mehr entwickeln kann.
Das Pferd hat logischerweise auch kein aufrichtendes Becken zur Verfügung, das den Hals des Pferdes automatisch durch seine Bewegungen rundet. Das Pferd beginnt sich in skurrilen Ausweichbewegung zu bewegen, baut dementsprechend Ausweichmuskulatur über den überlasteten Gelenken auf und beginnt sich in den Hüften zu wiegen, was die Kniebänder entsetzlich überfordert. Das „Schwingen“ im Rücken geht zu Lasten der überforderten Gelenke, was die Sehnen zum Reißen aufspannt.
Wie sich der Hals des Pferdes durch seine Biomotorik selbst rundet
Für das Pferd und seinen Körper ist es ein blanker Horror, sich derart zusammengeschraubt, unter Druck zu bewegen und zu „arbeiten“. Und wenn der Druck, die Spannung und die verstellte Körpermechanik nicht das Verhalten des Pferdes negativ verändert, dann spätesten seine Gelenksfähigkeit und die durchlässige Bewegungsfähigkeit seiner Wirbel. Diese eigenständige vom Körper des Pferdes angeregte Formung und Rundung des Pferdehalses kann man bei Guérinière nachlesen, natürlich angepasst an seine Zeit, seine Mittel und der damaligen Denkweise.
Der runde Hals ist die Konsequenz der Bewegung des Rumpfes und der Gliedmaßen
Die Betonung beim Selber-runden-des Halses liegt auf der eigenständigen Bewegung des Pferdes. Es ist das Ungezwungene und die Geschmeidigkeit des Pferdes, die im spielerischen Ausdruck seines Halses sichtbar wird. Zu dem das Pferd bereitwillig „mitarbeiten“ und nicht unterworfen werden darf. Das Wichtigste ist, dass der durchlässige Bewegungsapparat des Pferdes leichtfüßig und geschmeidig abfußen und sich der Hals aus der Wirkung der Bewegungen automatisch runden kann.
Es ist also nicht die „Erziehung“ des Pferdes, die methodisch und stufenweise erfolgt, bei der das kontrollierte „Gehorsam“ des Pferdes so einen hohen Stellenwert hat. Es ist nicht eine bestimmte Handlung des Menschen, die zu dem ein und demselben Ergebnis führen soll, oder dass auf eine Aktion des Pferdes eine Reaktion des Menschen erfolgt – wodurch der Reiter ja immer hinter der Bewegung des Pferdes ist.
Nein, denn das Wesentliche ist, dass der „nicht gerundete Hals“ viele Signale und Einschränkungen entwickelt hat und uns sichtbar macht – das deshalb wichtige, funktionelle Bewegungsvorgänge im Körper des Pferdes stecken geblieben sind und nicht vom Pferde ausgelebt werden können.
So, und jetzt können Sie wählen, auf welche Weise sie den Hals des Pferdes runden möchten. Und wenn Sie wissen möchten, wie das Pferd seinen Hals selbst (mit unserer Mithilfe) rundet, dann lesen Sie weiter in meinem Artikel „Wie sich der Pferdehals selbst rundet“.
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