Ganz am Anfang, wirklich ganz am Anfang unseres Reitens, wird uns beigebracht, dass unsere Hände dem Maul des Pferdes in seiner Nickbewegung folgen sollen. Das ist auch gut so, denn auf dem Pferderücken, so ca. 1m über dem Boden, sind wir erstmal mit was anderem beschäftigt als mit unseren Händen, die sozusagen erstmal nur als Mitläufer agieren, und auf die man ein kleines bisschen aufpassen muss, damit sie keinen Blödsinn machen und vielleicht reflexhaft reagieren.
Im Laufe der Zeit aber – je unabhängiger und in sich geschlossener und sicherer ihre Körperbewegungen auf dem Pferde werden, wirken die unbewussten „Nachfolgebewegungen“ der Hand (die Hand folgt dem Körper – ungünstig, wenn der Körper dann verkrampft ist) zunehmend lähmend auf die nonverbale Kommunikation mit dem Pferd, weil wir dadurch nicht mehr die verbindende, verbindliche Maul-Hand Beziehung suchen.
Ja, die Hände blockieren durch ihre unbewussten, gespannten, im Handgelenk festgehaltenen Eigenaktionen sogar unsere Versuche, durch unsere Hände, über das Maul, mit dem ganzen Körper des Pferdes verbunden zu sein.
Auch das Gebiss, das – aus dem so entstandenen, falschen Verständnis heraus – möglichst ruhig im Maul liegen soll, stellt unsere Verbindung zum Pferd noch mehr auf den Kopf. Aber, dass unruhige Hände die grundsätzliche Ursache von körperlichen und emotionalen Blockaden des Pferdes sind, darüber sind sich die unterschiedlichsten Disziplinen der Reiterei längst einig. Und auch darüber, dass der angeborene Kiefermechanismus des Pferdes erst möglich wird, wenn beide Kieferteile des Pferdes keine Beeinflussung „von außen“ mehr haben.
Solchen „gestörten“ Erfahrungen des Maules – dass ja einen hochkomplexen Mechanismus hat, der sowohl mit dem Genick als auch mit dem übrigen Körper – aber vor allem mit der Atmung verbunden ist, graben sich tief in das Gehirn und in das Nervensystem des Pferdes ein.
Das Maul des Pferdes aber komplett in Ruhe zu lassen und seinen Verspannungen zu überlassen ist die zweitschlechteste Lösung. Denn unumstößlich gilt für das Pferd – und jeder Sinn jeder Reiterei steht und fällt damit, dass das Pferd durchs Genick geht – also ohne Verkrampfungen in diesem sehr verletzlichen Bereich, der durchlässig ist, in den Ganaschen nachgiebig und niemals starr wird. Auch Brigadier Kurt Albrecht, mein überaus geschätzter Mentor, sagte bereits: die dringlichste Aufgabe des Reiters, ist das Maul des Pferdes lebendig zu halten.
Übrigens: Den Grad der Verbindung zu ihrer Hand, entscheidet das Sicherheitsgefühl des Pferdes und wieviel Verbindung es zu unserer Hand benötigt. Hier von „Kunst“ zu sprechen, ist glaube ich nicht angebracht, denn es sind viele gemeinsame Bewegungserfahrungen, unsere Feinfühligkeit, unsere Feinmotorik und jede Menge abstimmen, abstimmen und nochmal abstimmen mit dem Pferdemaul, bis wir eine Lesbarkeit unserer Hände erreichen, die im Pferd ein Gefühl des Vertrauens auslösen.
Ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht, aber im Maul des Pferdes entscheidet sich die Qualität unseres Reitens – wir kommen also nicht umhin – egal wie wir es drehen oder wenden, zu lernen wie wir so feinmotorisch wie möglich mit unserer Hand umgehen können, um die Problematik und unsere Verantwortung nicht auf Gebisse, Riemen, monströse Kopfgestelle oder Maulfreie Druckpunkte verlagern zu müssen.
Es hilft kein Knotenhalfter, kein Kappzaum, kein ruhiges und damit Bewegungsabstellendes Gebiss, keine Kandare, die durch ihr Gewicht und ihre Mechanik alles niederwalzt – da müssen wir ran an den Speck – sorry, ich meine damit, an die Altlasten ihrer Hände. Wir alle tragen jede Menge körperlicher Altlasten in unseren Händen, ob das nun von den verspannten und vorgeneigten Schultern ausgeht, unseren festgestellten Handgelenken die gegen jede Verbindung sprechen, die unelastischen Rippen oder generell von unserer nicht bewegungsfähigen Wirbelkette – so vieles spricht dagegen, dass sich das Pferd unseren Händen anvertrauen möchte.
Warum gibt es denn so viel Widerstand und Kampf beim Reiten?
Ob wir das jetzt wahrhaben wollen oder nicht – aber unsere undurchlässigen Hände blockieren unsere Feinmotorik und unsere bewussten und fein mit dem Maul und dem Pferdekopf abgestimmten Handlungen und Impulse. Und mindestens die Zunge des Pferdes muss darunter leiden. Und mindestens die sagt uns, dass es Zeit ist, sich um unsere durchlässige Hand zu kümmern, die dann auch in sich ruhig und lässig „dastehen“ kann, ohne Bewegungen abzublocken weil sie dem Pferd einen sicheren Rahmen geben kann, in dem es sich – im Vertrauen an uns – entfalten kann.
Wie oben gesagt, dem Pferdekopf mit den Händen nachgehen und „Wäsche zu waschen“ das ist die Handlung der Hände für den Anfänger. Aber fänden sie es gut, wenn Sie auch nach 20 Jahren intensiven Klaviertraining nicht über den Flohwalzer hinausgekommen sind. Eben…
Und deshalb geht es in den „Reiterschulungen“ auch um ihre durchlässige Hand. Sie bekommen Übungen „an die Hand“ die die Feinmotorik ihrer Hand trainieren – und außerdem zig Variationen und Möglichkeiten, was sie dann alles mit einer sprechenden und fühlenden Hand und mit ihrem Pferd zusammen, anstellen können.