Eine Frage der Aufrichtung

– Körperplastizität

Um die verheerenden Konsequenzen eines „geformten“ und deshalb bewegungsunfähigen Pferdekörpers zu verstehen, muss man zwischen Körperhaltung und Aufrichtung unterscheiden. Die Körperhaltung ist die Position des Pferdekörpers, die das Pferd gelernt hat, einzunehmen. Und ist oftmals eine Ursache von chronischen Krankheiten,  Bewegungsungleichheiten  oder auch „Unrittigkeit“.

Es bewahrt diese Position durch die Kraft seiner Muskeln, die dazu trainiert werden müssen um die „Haltung“ zu halten. Das ist anstrengend und kraftraubend, denn die Kraftmuskeln ziehen unheimlich viel Energie – Energie, die dem Pferdekörper für die Aufrechterhaltung seiner Betriebssysteme wegfallen. Außerdem lähmt man den Körper in seinen Sinneswahrnehmungen, und damit die Möglichkeit sich selber zu regulieren.

Körperhaltung bezeichnet die statische Position des Körpers und ist damit die Beschreibung wie die Gelenke und Wirbel zueinander stehen – in eine partielle oder gesamte Starrheit verhaftet. Eine schlechte Körperhaltung ist in diesem Sinne eine Körperposition, die Gelenke einseitig und übermäßig stark belastet. Und in der Gelenke bevorzugt arbeiten müssen (wie z.B. das Hüftgelenk – das sich dann deutlich abzeichnet, oder das Kniegelenke, das gezwungen wird, eine Bewegung auszuführen, die es nicht auf Dauer leisten kann).

Daraus entsteht ein Pferdekörper der nicht gelernt hat, seine vielfältigen Funktionen zu nutzen und deshalb müssen die verschiedenen Körperteile, getrennt voneinander – jede für sich arbeiten – oder sogar noch vom Menschen gearbeitet und dabei verformt werden.  Der Pferdekörper ist mehr oder weniger abgetrennt von seinen Nervensystemen was sich für den Organismus in seiner organischen Zusammenarbeit äußerst negativ niederschlägt. Eine schlechte Körperhaltung zeigt sich immer mit Ausweichstrukturen, einem unregulierten Muskeltonus und schlussendlich an einem gespannten Auf fußen der Hufe.

Solange das Pferd noch jung und die Strukturen eine jugendliche Elastizität haben, kann der Körper das leisten. Aber schon da baut der Körper an den Gelenken, die falsch belastet werden, seine Schutzmaßnahme in Form Ausweichstrukturen auf, die man auch von außen sehr gut sehen kann. Diese Schutzmaßnahme werden vom Körper vorrangig „ernährt“ um ihren Schutz dauerhaft leisten zu können. Während der übrige Körper immer mehr abbaut, bauen sich die Ausweichstrukturen immer mehr auf, weil sie als Schutz immer mehr gefordert werden.

Das Mosaik von Bewegungserfahrungen

Was wir aber tatsächlich als lebendigen Körper wahrnehmen, ist ein kompliziertes Gebilde von kleinen Bewegungserfahrungen des ganzen Körpers. Mit mechanisch sinnvollen und energieeffizienten Bewegungen des verbundenen Körpers. So liegt auch das Geheimnis guter Bewegung darin, die Plastizität des Körpers in Bewegung zu halten, und nicht verschiedene Bewegungsmuster zu bevorzugen oder sie sogar noch zu trainieren.

Körperplastizität ist das Lächeln des Körpers…

Körperplastizität ist tatsächlich wie ein Lächeln des Körpers, denn der Körper braucht dafür ähnlich  viele Muskeln wie wir beim Lächeln. Der Körper braucht alle seine Muskeln um seine Plastizität herzustellen. Aber wie beim Lächeln auch, kann das nicht statisch gehalten oder erhalten werden. Eine „gehaltene“ Körperhaltung kostet den Körper unverhältnismäßig viel Energie, denn während manche kleinen Bewegungen im Körper untätig sind, müssen andere umso mehr „arbeiten“. So wird Kraft und Energie „verschwendet“, die der  Körper dringend für ausdrucksvolle Bewegungen braucht.

….aber sie ist vor allem das Teamwork des Körpers

Körperplastizität braucht keine Kraft, sie entsteht aus der verbundenen Wirksamkeit des Körpers. Aus einer Bewegung die keinerlei Beschränkung in ihrem Körper hat, wo alle Wirbel und Gelenke frei  und ungebunden mitarbeiten können. Einer Bewegungsverbindung, bei der kein Gelenk den Vorzug hat, und an der auch alle inneren Bewegungen – die organischen Bewegungen  beteiligt sind  – das nennt man auch die Selbstwirksamkeit des Körpers, die aus der Eigenwahrnehmung und dem Körpergefühl entsteht. Sie baut sich wie eine wunderbare Architektur aus dem Körper auf, mit dem er bestmöglichst situativ regieren kann – Körperplastizität ist eben das Lächeln des Körpers.

Körperplastizität als positive Folgeerscheinung der Aufrichtung

Aufrichtung dagegen ist die Position des Körpers in dem alle Gelenke und Wirbel bestmöglich zueinanderstehen, ohne sich gegenseitig zu behindern. Verbunden sind die Gelenke und Wirbel mit äußerst trägelastischen Strukturen, die den Wirbeln und Gelenken zwar eine sichere „gefasste“ ( im Sinne von eingefasste Stellung) geben, ihnen trotzdem einen absoluten Spielraum ermöglichen.

In dieser Aufrichtung liegt dann auch das Geheimnis guter Bewegung, denn der ganze Körper wird zum verbundenen „Bewegungsraum“ der es dem Körper ermöglicht auch bei den kleinsten Bewegungen ständig leicht in Bewegung zu sein, und damit insbesondere die Atembewegung im elastischen Rippenkorb zulässt. Das ist ein durchlässiger Körper, der durch eine innere, dynamische Idee in die richtige Bewegung kommt. Aus dieser Bewegung entsteht Bewegungsfreude, denn jede kleine Bewegung läuft über die Bewegungsareale des Gehirns.

Die Körperplastizität ändert sich in der Aufrichtung ständig, deshalb sollten, wenn das Pferd auch nur den Kopf zur Seite dreht, und selbst beim einfachen Stehen,  alle Wirbel und Gelenke an den Bewegungen beteiligt sein. Die Aufrichtung wird von den inneren angeforderten Strukturen bestimmt, und entwickelt die Körperplastizität. Keine Struktur ist dabei besonders straff oder „unter Spannung“ und auch nicht besonders locker und können dabei den Körper nicht verformen und verschieben und zerren somit auch nicht an den Wirbeln.

Die elastischen Strukturen passen sich, und damit den Körper den täglichen Belastungen und Forderungen ständig an – der ganze Organismus wird damit in jeder Minute am Leben erhalten. Und das ist das besondere in einer Ruhestellung – der Körper fällt mit seiner Körperplastizität nicht in eine totenähnliche Starre, sondern gerade beim Schlafen „arbeitet“ die ganze innere Struktur des Körpers weiter und regeneriert den Körper – der sehr tief entspannen kann, und erholt aufwacht.

Ein Körper dagegen, der immer am Limit ist, dessen Muskeln die Kraft benötigen unheimlich viel Energie ziehen – fällt wie ein gefällter Baum um. Der Körper versucht erst mal wieder seine Defizite, die er am Tag erhalten hat, irgendwie auszugleichen. Zum Regenerieren fehlt die Möglichkeit – und so baut sich das Defizit Tag für Tag weiter auf.

Schwamm

Stellen Sie sich zum Beispiel ein Pferd vor, dass zehn Jahre lang tagaus – tagein die linke Schulter mehr belastet, weil es schief ist. Um das eigene Ungleichgewicht des Körpers „halten“ dauerhaft zu können, baut sich die Schulter jeden Tag der Belastung entsprechen um. So werden die Strukturen und Muskeln, die die Schulter halten immer mehr versteift, um das eigene Gewicht halten zu können.

Stellen wir uns weiter vor, im Alter von 6 Jahren setzt sich zusätzlich ein Mensch auf das Pferd. Der Mensch rutscht unweigerlich auf die versteifte, unbewegliche Schulter, und das Pferd muss sie noch mehr als vorher, gegen das zusätzliche Gewicht versteifen. Auch in der „Menschenfreien“ Zeit kann das Pferd seine belasteten Strukturen nicht mehr entspannen und regenerieren. Die tägliche Belastung ist höher, wie der Nutzen für den Körper.

Die linke Schulter steht permanent höher als die rechte Schulter, und obwohl die linke auch in der Folge meist schmerzfrei gehen kann, verzieht sich den ganzen Körper und vor allem die Atmung. Der ganze Organismus ist „nur“ durch eine Schulter in einem Ungleichgewicht – bei dem das Betriebssystem nicht mehr stimmt, aber das Bewegungssystem eben auch nicht. Alle reiterlichen Maßnahmen, die auf dieser Grundlage gemacht werden, können nur ins Falsche laufen.

Die wichtige Körperplastizität

Knochen, Wirbel, Gelenke, Muskeln und Organe sind im Körper durch Bindegewebe verbunden. Wenn sich das Bindegewebe am Ende des Muskels verdickt, nennt man es auch Sehnen oder Bänder. Sie sind formgebend für den Körper und passen sich dem täglichen Gebrauch an. Deshalb sind die Sehnen in der Biomotorik erste Wahl und nicht die Muskeln. So wie sie sich im Laufe der Jahre bewegen, so passt sich alles in ihrem Körper an diesen Gebrauch an.

Und nicht nur IM Körper, sondern auch IM Kopf. Die Sehnen sind nämlich mit zahlreichen Rezeptoren und Nervenendigungen durchsetzt, die damit ständig dem Gehirn eine Rückmeldung über den Zustand des Körpers geben. Wie sie noch sehen werden ist deshalb der Kopf des Pferdes mit seinen Mimikmuskeln so überaus wichtig im Biomotorischen Training.

Wenn ihr Körper also irgendwo eine Spannung oder Druck hat (wie es durch die verschiedenen „Hilfsmittel wirklich sehr leicht am Kopf passiert, wird das an das Gehirn weitergemeldet – der ganze Körper fühlt sich durch diese Meldung „gespannt“. Gleichzeitig hat aber das Gehirn aber auch eine direkte Auswirkung in den Körper – wer psychisch viel Stress hat, merkt das auch gleich in seinem „angespannten“ Körper.

So erzählt uns die sichtbare „gehaltene Körperposition“ oder eben die „Körperplastizität“  die Lebensgeschichte des Körpers und nicht die Anzahl seiner trainierten Muskeln. Denn den runden, gekrümmten Körper des Pferdes hat es irgendwann in seinem Leben irgendwie erlernt bekommen  und weiter trainiert worden – dabei hat man das Pferd grandiosen Plastizität des Körpers entfernt. Die Unterseite des Pferdekörpers verkürzt sich dabei, und verhaftet den Körper Tag für Tag mehr in diese Position.

So wird Haltung zur Struktur. Und da sich beides begünstigt, befinden sich Pferd und Mensch in einem täglich verstärkenden Teufelskreis. Jetzt kann man auch verstehen, wie wiedersinnig ein weiteres trainieren der Bauchmuskulatur ist, die den Körper noch mehr in die Krümmung – gegen seine Wirbel bringt.