BIOMOTORIK – die perfekte Ergänzung von Mensch und Pferd
Während der Mensch in den verschiedensten Sparten der Reiterei versucht “reiten zu lernen“, stellt uns parallel dazu der Körper des Pferdes, seine Bewegungen, seine Gesundheit oder sein Verhalten – und oft genug alles zusammen, immer wieder vor besondere Herausforderungen.
Seit nunmehr vielen Jahren erforsche ich die Möglichkeiten des Menschen, wie und auf welche Weise man das Pferd in eine vom Pferd selbst erlebte Leichtigkeit bringen – und durch die Freude an der eigenen Bewegung und in der Selbstverständlichkeit seiner ureigenen Gleichgewichts- und Bewegungsfähigkeit – bewegen kann. Aber vor allem, wie diese körperlichen Erfahrungen von Pferd und Reiter, auch unter dem Sattel, immer wieder neu erlebt werden können.
Natürlich stellt sich immer zuerst die Frage, warum der Mensch das Pferd in SEINEM Körper ausbilden muss. Immerhin ist der Pferdekörper durch Millionen von Jahren Entwicklungsgeschichte zu hochkomplexen Bewegungsabläufen befähigt worden und auch wenn in der Natur nur ein Teil der körperlichen Möglichkeiten durch die Bedingungen der Umwelt abgerufen werden – sollte uns doch das Pferd mit Leichtigkeit auf seinem Rücken tragen können – oder?
Das das leider nicht so ist, liegt an der Bereitschaft des Pferdekörpers sein Bewegungsverhalten anzupassen und zu ändern – d.h. zu lernen. Dieser Effekt macht es – um es vorwegzunehmen – uns erst möglich ein Pferd „auszubilden“ – ist aber auch therapeutisch sehr nützlich. Es bedeutet, dass wir beim Pferd gewohntes, uns unangenehmes Bewegungsverhalten zugunsten einer angenehmeren „Umgehensweise“ durchaus verändern können (versuchen Sie das mal bei einer Katze!).
„Das Wesen von Bewegung ist die Bewegung des Wesens“ (Kaulbach 1965).
Der Sinn einer Ausbildung sollte aber nicht nur dazu dienen, durch das Pferd etwas – oder sich selbst reiterlich darzustellen. Methoden, die auf „Erziehung“ – also auf „richtigem“ oder „falschem“ Tun beruhen – greifen in den meisten Fällen zu kurz, weil sie dem sensomotorischen System des Pferdekörpers nicht entsprechen, und dem Wesen des Pferdes dabei nicht gerecht werden.
Beobachtet man dafür ein ungestörtes, sehr lebendiges Fohlen in seinem Tun, so ist es durchgängig damit beschäftigt seine Welt zu erkunden, sich in seinen Bewegungen zu erfahren, seine Bewegungen damit zu verbessern, seine Ausdrucksmöglichkeiten zu erproben und so Schritt für Schritt so viele Fähigkeiten seines Körpers wie möglich zu erlernen (Das könnte damit auch eine Beschreibung der „biomotorischen Bewegungen“ sein).
Während dem zweckfreien Spiel seiner Muskeln geschieht im Inneren des Pferdes – in seinem Organismus – etwas schier Unglaubliches: alle neuronalen Verbindungen, die zum besseren Verstehen und zum Bewältigen von „großen“ Bewegungen und zusammenhängenden koordinierten Bewegungsmuster notwendig sind, werden durch die spielerischen Bewegungserfahrungen geknüpft.
Aber das Wichtigste der „natürlichen Schule“ dabei läuft fast im Hintergrund ab – es ist die Ausprägung zur Atmungsfähigkeit, denn die Bewegungen des Brustkorbes versorgen die Atemmuskulatur und erweitern die Lungenkapazität. Genaugenommen ist es also die Aufgabe einer Bewegungsentwicklung, den Pferdekörper für seine Bewegungsaufgaben mit Sauerstoff zu versorgen, und zwar den gesamten Organismus, bis in die allerletzte Struktur und in die allerletzte Zelle des Körpers hinein – denn nur das gewährleistet ein optimal ineinandergreifendes Bewegen.
Weil die Atemfähigkeit und das Reagier- und Bewegungsbereite Verhalten des Pferdes stets besser und dem Wesen des Pferdes wesentlich angemessener ist, als alle Konzepte der „Erziehung“, die eben nur ein geplantes Bewegen des Pferdes ermöglichen, nähert sich die BIOMOTORIK – und mit eindrucksvollen Erkenntnissen – der traditionellen Reiterei über Körperfunktionen, Körperreaktionen und selbst erfahrene Bewegungen von Mensch, Reiter und Pferd.
Der Körper des Pferdes ist, wie er eben ist, real und physisch. Er lebt wie wir, in einer physikalischen Welt und folgt des physiologischen Gesetzen seines Organismus und seines Bewegungssystems. Und so bleibt nichts, was unser Körper – der Körper des Menschen macht, ohne Wirkung auf den Pferdekörper, nichts macht nichts mit ihm…
Weil dem Pferd der natürliche Grundzustand seines Körpers allerdings fremd geworden ist, ist der Weg einer Bewegungsausbildung für den Pferdekörper eigentlich vorgeschrieben – den wir natürlich NICHT in einer stabilisierenden nach vorne fallenden Form ausbilden können, die dann Strukturen und Muskeln einschränken. Und bei der archaische Reaktionen, wie Kiefer festmachen, die schnelle oberflächliche Atmung, das Becken anspannen oder der Fluchtreflex zur Tagesordnung gehören.
Was kann ein Pferd interessieren, wenn es nichts mehr wahrnimmt?
Körperliche Plastizität, Tragfähigkeit, der Aufrichtungsprozess des Skeletts, vollzieht sich weder unter Zwang noch im Zustand der Spannung. Emotionale Ausnahmesituationen, wie Stress, Aggression oder Angst, verzerren die Wahrnehmung des Pferdes, sein Körpergefühl und damit seine Gelenke.
Aber nur ein erweiterter, tragfähiger Pferdekörper ist in der Lage – und zwar ohne Einschränkungen des Bewegungssystems, oder organische Schäden – den Menschen auf seinem Rücken zu tragen. Wir brauchen dazu die erweiterte Version des Pferdekörpers – eine atemfähige, bewegungs- und reagierbereite Körperform in Kombination mit der Gleichgewichts- und Bewegungsfähigkeit.
Der Pferdekörper „erweitert“ sich durch neue Bewegungserfahrungen, er lernt dazu, weil sich dann das Nervensystem für das Neue, Ungewohnte deutlicher interessiert als für das gewohnte. Das Pferd wird aufmerksamer, widerstandfähiger und überlebensfähiger. Die Bewegungsentwicklung wird dvorangetrieben, was an der Form des Pferdekörpers und vor allem an dem Ausdruck seiner immer sicherer werdenden Bewegungen und seinem nach außen getragenen Körpergefühl sichtbar wird.
Auf diesen Erkenntnissen habe ich sowohl meine „Reiterschulungen“ für den Menschen – als auch die „biomotorischen Bewegungen“ für das Pferd aufgebaut. Bei der Gleichgewichtsfähigkeit sowohl bei der Bewegungsfähigkeit – aber vor allem in körperlich „verfahrenen“ Situationen, hilft leider keine Theorie, These oder Technik, sondern nur die Wirksamkeit ihres Körpers und in erster Linie ihr Körperausdruck, damit sich das Pferd an ihrem Verhalten immer zuverlässiger orientieren kann.
Meine Seminare habe ich deshalb an die heutige Zeit (mit viel zu vielem Sitzen und betonierten Flächen) angepasst, die der organischen Entwicklung von Bewegungen nur noch wenig Chancen geben. So stehen weder beim Pferd noch beim Menschen reiterliche Handlungen im Vordergrund, sondern immer die Rückkehr zur Feinmotorik, die sehr schnell aus bereits erlernten mechanischen Bewegungsabläufen, wieder runde und fließende Bewegungsabläufe machen, die dann eben nicht mehr an den Strukturansätzen der Gelenke ziehen und sie verziehen.
Begleiten Sie mich in eine verblüffend einfache Betrachtung der Reiterei, einer gemeinsamen und sehr verbindenden Bewegungsform zwischen Pferd und Mensch, die den uralten Bewegungen ähneln – die der Mensch und das Pferd gebraucht hat, um zu überleben und sich weiterzuentwickeln.
Der für mich schönste Erklärungsversuch zur Unterscheidung von mechanischen und biomotorischen Bewegungen, den ich je gehört habe, ist übrigens der Vergleich, bei dem die die mechanischen, erlernten Bewegungen wie ein x-beliebiger Aufenthalt in einem Flugzeug sind, bei dem man geflogen wird und so aussteigt, wie man eingestiegen ist…
Die „biomotorischen Bewegungen“ dagegen erinnern an den wunderbar ungebundenen, freien Vogelflug, bei der wie in der Biomotorik der Vogel selbst fliegt, dabei die Geschicklichkeit seines Körpers und mit sich und seinen Fähigkeiten umzugehen lernt.
Sie selbst können entscheiden, ob sie nur der Pilot ihres Pferdes sind – oder ob Sie mit ihrem Pferd zusammen „fliegen“ wollen.
Wobei dass bitte nur sinnbildlich gemeint ist.