Bei biologischen Bewegungen geht es nicht um das Können von Bewegungen, auch nicht um das Nicht-Können und dem folgenden Erlernen von Bewegungen, sondern um die Bewegungsmöglichkeiten, die noch ungeweckt im Pferdekörper schlummern – allerdings zum Aufbau der Körperplastizität gebraucht werden.
Biologische Bewegungen müssen entstehen und sich entfalten dürfen. Bewegungen kann man nicht antrainieren. Aber Bewegungen müssen alles sein. Abwechselnd herrlich, geschmeidig, schmerzhaft, therapeutisch, beflügelnd, deprimierend, leichtfüßig, schwerfällig, ängstlich, mutig, langweilig, aufregend – diese Aufzählung kann beliebig fortgesetzt werden. Aus allen diesen Wahrnehmungen entstehen die Bewegungen des Pferdes. Und da eben jedes Pferd anders wahrnimmt, sind sie eben bei jedem Pferd unterschiedlich. Die Unterschiedlichkeit seiner Bewegungen macht das Pferd zum Pferd. Und zu einer ganz eigenen unverwechselbaren Persönlichkeit.
Der feinsinnige Pferdekörper lernt Bewegungen – und vor allem die biologischen, gesund erhaltenden – über Bewegungserfahrungen, die es mit seinen hochsensiblen Sinneswahrnehmungen wahrnimmt und über die Nervensysteme im Körper integriert. Ohne Sinneswahrnehmungen keine Bewegungserfahrungen, und ohne eigene Bewegungserfahrungen keine biologischen Bewegungen – so einfach ist das Prinzip des Körpers. Jedes Pferd nimmt anders wahr. Deshalb gibt es so viele unterschiedlichen Bewegungen und Körperausprägungen, die eben aus den verschiedenen Bewegungen und deren Wahrnehmungen entstehen.
Wenn das Pferd seine biologischen Bewegungen entdeckt hat, will es nicht mehr aufhören sich zu bewegen. Auf alle möglichen Arten – langsam und schnell, mit Reiter oder ohne, in Gesellschaft oder allein. Denn dieses Bewegen liegt ihm im Blut. Biologische Bewegungen erzählen über das Pferd. Über das was es erlebt hat, und was es erfahren hat. Denn vom Körper ausgeführte Bewegungen sind immer die Bewegungserfahrungen aus der Vergangenheit, mit dem Update des aktuellen Tages.
Der Kleiderschrank im Pferdekörper
Am besten kann man sich das System der biologischen Bewegungen wie einen wirklich gut gefüllten Kleiderschrank vorstellen – für alle denkbaren Anlässe etwas. Von den vielen Abendkleider über die täglichen Kleider, Nachtbekleidung, Badekleidung alles – und alles nagelneu. So kommt auch ein Fohlen auf die Welt – mit einem Kleiderschrank an Bewegungen. Je nachdem, wie und wo das Fohlen aufwächst, wird es aus seinem imaginären Kleiderschrank das an Bewegungen herausholen, was es braucht. Die Kleider, die das Fohlen häufig braucht – die es also jeden Tag aus dem Schrank holt – sind also benutzter wie die anderen.
Je nachdem welche Kleider (Bewegungen) das Fohlen wie häufig trägt (können Sie mir noch folgen?) prägt sich der Körper des Fohlens aus. Die anderen Bewegungen liegen unbenutzt im Schrank, warten aber bis man sie tragen möchte (wenn man sie dann braucht, sind sie vielleicht ein bisschen eingestaubt, aber immer noch da). Wenn das Pferd, das mittlerweile erwachsen geworden ist, immer nur einige wenige und dieselben Bewegungen nutzt, werden genau die dann stark abgenutzt (als Kleider fadenscheinig) sogar bis sie kaputt gehen.
Die Nutzung von diesen wenigen Bewegungen zieht den Körper in eine sehr einseitige Form (als wenn sie einen Menschen mit der immer selben Kleidung sehen). Der Körper wird von diesen gespannten Muskeln verzogen, muss sich überall festhalten, um irgendwie in der aufrechten „Haltung“ zu bleiben, was sehr anstrengend ist. Spannung überzieht den Körper, weil die Muskeln keine verbindende Muskelbalance mehr haben können, sondern einzelne Muskeln anstrengend „arbeiten“ müssen. Vielleicht werden sie sogar noch extra trainiert und gestärkt und so auch noch mehr und nicht ihrer Aufgabe entsprechen abgenutzt.
Wenn wir wieder beim Kleiderschrank sind: die viel genutzten Kleider liegen vorne dran – die nicht genutzten, rücken dabei immer mehr in den Hintergrund. ABER, sie können jederzeit hervorgeholt werden. Vielleicht weil sich die Anlässe ändern. Weil sie Einladungen bekommen, Baden gehen, wandern gehen, viel unterschiedliche Tageskleidung brauchen usw. (eine Frau kann sich das bestimmt gut vorstellen). Die einzelnen Bewegungen (Kleider) werden nicht mehr so stark benutzt und abgenutzt, weil wir die verbundene Vielfalt nutzen (Körperplastizität).
Die Bewegungsvielfalt hält in ihrer Gesamtnutzung ein Leben lang (so und jetzt müssen wir uns gedanklich vom Kleiderschrank verabschieden – denn kein Kleiderschrank einer Frau reicht ein Leben lang!). Außerdem beginnt jetzt das Wunderwerk der Natur (das ich mir aber auch für meinen Kleiderschrank wünschen würde). Die verbundenen Bewegungen, in der Körperplastizität, haben die Möglichkeit, sich nach einer ausbalancierten und zentrierten Nutzung zu regenerieren.
Die Freiheit im Körper
Biologische Bewegungen sind die Bewegungen im Körper die jeder individuelle Körper bereit stellt. Alles was der Pferdekörper an Hardware (Skelett) und der Software (das Betriebssystem – die Akteure im Körper) um den Körper in den „best case“ – den besten Fall aller Fälle zu bringen, ist ja vorhanden – aber eben sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das beginnt schon mit den Knochenabmessungen des Skelettes – die sind so individuell einzigartig wie ein Fingerabdruck.
Der beste „Fall aller Fälle“ ist für den Körper seine Körperplastizität. Körperplastizität ist ein Ziel, das nie erreicht werden kann. Denn die Bedingungen der umgebenden Welt, ändern sich in jedem kleinsten Moment herausfordern. Die Bewegungen aktivieren Bewegungen und die Häufigkeit der „Nutzung“, die die Bewegungen entsprechend stärken, sind entscheidend für die Ausprägung des Pferdekörpers (nicht das Trainieren von Muskeln – wie oft fälschlicherweise angenommen). Die Formel des Körpers ist dabei ganz einfach! Das was im Körper – im Betriebssystem und vom Körper – vom Bewegungssystem angefordert wird, das wird entsprechend ausgebaut.
Die Kräfte zur Regeneration im Körper
Das heißt, sobald der Körper wieder miteinander verbunden ist, entwickelt er hauseigene Kräfte, um sich nach der Nutzung zu regenerieren. Um diese Verbundenheit immer weiter auszubauen, weiter zu entwickeln, noch regenerationsfähiger und plastischer zu machen. Das ist die wichtige Weiterentwicklung des Körpers – das ist seine Körperplastizität bei der alle Akteure im Körper genutzt werden und alle Prozesse auf allen Ebenen ablaufen.
Die Prozessebenen des Körpers:
- I. Anatomie: weil die biologische Bewegung (Bewegungssystem) des Skelettes auch die inneren Organe stärkt
Knochen, Wirbel und Gelenke, Organe und Gewebe werden gekräftigt - II. Physiologie: weil biologische Bewegungen sogar ihre Wirkung bis auf die winzigsten Zellen im Körper hat.
Körperzellen, den Stoffwechsel verbessern, die bei der Abwehr von Infekten oder der Verdauungstätigkeit helfen, werden angeregt, schneller und effizienter zu funktionieren - III. Angeborene Bewegungen – Erbgut: weil biologische Bewegungen den Körper regenerationsfähig machen und vieles selbst „reparieren“ können.
die Bewegungen wirken positiv auf die Baupläne, in denen die Merkmale des Körpers festgeschrieben sind. - IV. Psyche: weil biologische Bewegungen Emotionen und Empfindungen positiv beeinflussen und die Psyche stärken.
weil biologische Bewegungen die Lebens- und Bewegungsfreude fördern.
Biologische Bewegungen sind also die Basis des Pferdekörpers und seiner Gesundheit. Und durch nichts zu ersetzen. Das Wirkungsvollste was man für den Körper des Pferdes machen kann, ist das Pferd in „seine Biomotorik“ zu führen.
Die eigene Biomotorik – die alle Prozessebenen des Körpers abgreift ist „Heilmittel“ und Prophylaxe zugleich – sie ist eine natürliche Therapie, die jedem hilft, weil sie die ungeahnten Heilkräfte des Körpers freilegen und entfalten kann.
In die Biomotorik führen – bedeutet die „Akteure“ im Pferdekörper anreizen
Aber ist es überhaupt möglich, dass sich ein Pferd in irgendeiner Weise weiterentwickeln kann, wenn es selbst mittlerweile seinen eigenen Körper nicht mehr spürt und kein (oder eingeschränktes) Körperbewusstsein mehr hat? Wenn ihm seine Bewegungen im Laufe seines Lebens „abtrainiert“ wurden, und sich eine „gehorsame“ Abhängigkeit zum Menschen entwickelt hat. Wenn es alt ist? Oder die Schädigungen im Körper schon so weit fortgeschritten sind, dass es vorrangig Schmerzen wahrnimmt?
Meine Gedanken über die biologische Bewegung:
Jedes Pferd hat ganz klar „Unebenheiten“, aber es gibt eben auch Millionen von Möglichkeiten, mit ihnen spielerisch umzugehen. Damit es sich nicht nur in den Grenzen bewegen muss, die der Mensch für das Pferd zieht. Noch weiß man viel zu wenig über die Körperprozesse der Biomotorik, was aber ganz klar ist, wie zuverlässig biomotorische Übungen und Bewegungen die Begrenzungen im Pferdekörper auflösen oder zu mindestens positiv verändern können.
Der Körper des Pferdes liefert uns so viele les- und auch sichtbare Details über den Zusammenhang zwischen regelmäßiger Bewegung und körperlichem Wohlbefinden und Gesundheit des Pferdes, dass es jedem „Körperverweigerer“ in Zukunft fast unmöglich sein wird, seine Verhalten und seine Handlungen GEGEN das Pferd auch nur annähernd rational zu begründen. Wenn ich an den Menschen und an das Pferd denke, dann frage ich mich immer warum diese Beziehung so schief läuft? Ein Pferd, das von Haus aus, von Natur aus, die schönsten und vielfältigsten Bewegungen hat, wieso muss man so einem Lebewesen seine natürlichen Gänge und Bewegungen aberziehen und ihm künstliche anerziehen. Was hat der Mensch irgendwann so falsch verstanden dass er ernsthaft glaubt dem Pferd etwas beibringen zu müssen. Um sich auf die Biomotorik einzulassen, gehört am Anfang sicherlich ein bisschen Mut des Menschen dazu, aber sie sehen – es lohnt sich.