Die Vorhand-lastigkeit des Pferdes
Die überstreckende Vorhandlastigkeit des Pferdes schränken die Funktionen des Schulter- und Hüftgürtels massiv ein. Die Beine bewegen sich zwar mehr oder weniger unter dem Körper (die Vorderbeine gerne vorbiegig und die Hinterbeine nach hinten heraus), aber eine Einbeziehung des Rückens ist in der überstreckten Form der Oberlinie nicht möglich. In der Hüftregion sieht man (teils einseitige) Strukturverschiebungen, die stressbedingt Probleme der Organe nach sich ziehen und natürlich eine fortlaufende Verkleinerung der oberen Atemwege bewirken.
Die natürlich angelegte Vorhand-lastigkeit
Dabei darf man nicht vergessen, dass die Vorhand-lastigkeit eigentlich eine natürliche Körperposition ist, die das Pferd gerne einnimmt, aber zu Passivität und beschränkten Bewegungsmöglichkeiten führt und die Gelenkbeweglichkeit einengt. Das Pferd verlagert dabei seinen Körper in einer unbewussten Reaktion leicht nach vorne, die es kaum Energie kostet.
Das „gerne einnehmen“ des Pferdes täuscht uns gewaltig darüber hinweg, dass das Pferd diese Position nur deshalb einnimmt, weil es eine Haltungs- und Aufrichteschwäche hat. Das verstärkt sich zu der Unfähigkeit, sich ohne die „Hilfe“ des Menschen aufzurichten, was besonders auffällig wird, wenn der Reiter den bewegungsunfähigen Rücken noch mit seiner Last belastet. Das wiederum hat verschiedene „Schulen“ dazu gebracht, das Pferd auf ihre spezielle Weise, mechanisch aufzurichten (ich bereite gerade eine differenzierende Sicht auf die „Schulen“ vor).
Die Vorhandlastigkeit selbst, braucht nur eine geringfügige Muskelanspannung, was ihr auch den Begriff der „Entspannungshaltung“ eingebracht hat. Erst in Bewegung wird das eigentliche Dilemma des Pferdes deutlich (sogar bei der kleinsten Bewegung). Und zwar dann, wenn das Pferd die Position seiner Wirbelkette zur Bewegung ändern muss, um den Hals aufzurichten. Nun wird die entspannte „Ruhestellung“ zu instabil und die äußeren Muskelschichten müssen sich partiell anspannen, um a) zu stabilisieren und b) Bewegungsenergie zu generieren.
Ein Pferd, dass sich Vorderlastig bewegen muss, zieht deshalb keine Vorteile daraus. Im Gegenteil. Da die Bewegung nicht durchlässig über den Rücken geht, verliert das eh schon bewegungsarme Pferd die Wechselwirkung der Bauch- und Rückenmuskulatur – der Bauch beginnt zu hängen, weil die schweren Organe so keine Unterstützung des Rückens mehr haben.
Aber nicht nur an der Wirbelkette, sondern auch an den vorbiegigen Vorderbeinen, Knien, Hüfte und Beinen macht sich die Über-Belastung deutlich bemerkbar. Die Erschöpfungszustände, die sich bald über den ganzen Körper des Pferdes ausbreiten, haben den Begriff „Trageerschöpfung“ geprägt, bei dem der gerade Hals (ohne Halsgeflecht) dem schweren Kopf des Pferdes, der ihn die Tiefe zieht, nichts mehr entgegenzuhalten hat und zwischen den Schulterblättern absinkt.
Bewegt sich ein Pferd dauerhaft nach vorn gebeugt, oder wird in dieser Position zusätzlich noch trainiert und muskulär verstärkt, werden vorwiegend die vorderen Abschnitte der Wirbelkette belastet, das Pferd stabilisiert seine Vorderbeine dagegen und ein bewegungsunfähiger Rücken entwickelt sich. Statt einem Rückengänger entsteht ein Schenkelgänger.
Die Folgen und tiefgreifenden Auswirkungen der Vorhandlastigkeit auf den Bewegungsapparat des Pferdes sind auch nach außen deutlich sichtbar. Zu sehen z.B. in den Spannungsmustern der eingebundenen Schulter, in den tiefen Furchen im Gewebe des zurückgehaltenen Schultergelenks, und auch im schützenden Aufbau von Ausgleichsmuskulatur (siehe Foto)
Es ist die einseitige Überbelastung auf die der Pferdekörper nicht vorbereitet ist
Die Evolution hat dem Pferd – jedenfalls aus Sicht des Reiters – jede Menge „Schwachstellen“ im Körper beschert. Das sind äußerst sensible, komplexe Körperregionen, an denen das Pferd statt Spannung und Festigkeit, die Balance seiner Strukturen braucht. Es liegt an uns, es zu erreichen, dass das Pferd keine Reaktionen des Abstützens entwickeln muss, sondern die Schwachstellen zu dicht vernetzten und „von innen“ ausbalancierten „Starkstellen“ machen kann.
Bewegungspermanenz
Obwohl man in der Körperausbildung des Pferdes, die sich durch die entwickelnde dichtere Vernetzung von Strukturen fast täglich verändert und sich aufeinander aufbaut, keine Norm oder Regelwerk finden kann, kann man trotzdem eines mit Bestimmtheit sagen: genau die Positionen, die oft vom Pferd eingenommen werden, werden vom Körpersystem „strukturell“ gefestigt. Aber – so wie gute zusammenwirkende Strukturen dem Pferd sein Körpergefühl, sein Vertrauen und seine Sicherheit geben, so begegnen dem Pferd auch „falsche“ Bewegungen immer wieder.
Das Prinzip der körperlichen Ausbildung
Ab dem Moment, in dem eine Umstrukturierung eingeleitet ist, und das Nervensystem mit im Boot ist, dreht sich das Blatt. Statt der Überbelastung auf gestresste und gespannte Körperteile, wirkt eine Belastung auf zusammenwirkende Strukturen aufbauend und elastisch stabilisierend. Dank dieses genialen – eigentlich eines physikalischen Prinzips – können wir das Pferd reiten.
Bei einer Bewegungsausbildung des Pferdes spielen deshalb die Bewegungen, die das Pferd mit dem Becken, der Hüfte, den Oberschenkeln und den Gelenken der Hinterhand ausführen kann, eine wesentliche Rolle. Ohne das Muster der (natürlichen) Vorhandlastigkeit zu durchbrechen, können wir die Motorik des Bewegungsapparates aber nicht verändern.
Das Pferd kann dann keine Last auf die Hinterhand aufnehmen, sich nicht so umstrukturieren und das Gewicht selbstwirksam nach hinten verlagern. Die Körperausbildung darf deshalb niemals nur „auf Sicht fahren“, und mit dem Pferd Bewegungen einstudieren, die im Moment „mal nett“ sind, sondern MUSS voraussehen können, was die Bewegung in drei Monaten oder drei Jahren im Körper im Organismus und im Bewegungsapparat des Pferdes veranstaltet.
Die Zeichnungen machen deutlich, wie sinnlos es ist, dem abschüssigen Bewegungsapparat (Fahrwerk) des Pferdes einen künstlichen Muskelaufbau (Chassis) aufzusetzen. Also einen Muskelaufbau auf dem überstreckten Körper in der Vorhandlastigkeit zu installieren. Denn die Vorhandlastigkeit läuft weiterhin im Hintergrund mit und bleibt so dem Körpersystem „erhalten“.
Die Umstrukturierung beginnt immer mit der „Genickentlastung“ des Pferdes
Nehmen Sie sich die Zeit, um die Reaktionen der „Genickentlastung“ des Pferdes zu entdecken, die seine Motorik neu ausrichten und dabei umstrukturieren. Richten Sie ihre Aufmerksamkeit – und den Fokus des Pferdes – dabei auf das „Angehen von hinten“. Beobachten Sie dabei, wie die Bewegungsabläufe tiefer werden und neue Bewegungserfahrungen mehr Raum bekommen.
Das „Angehen von hinten“ ist übrigens ein völlig unterschiedlicher Vorgang zum „Treiben“ von hinten, der nur eine Überlebensreaktion der Muskulatur in Gang setzt, was sich dann negativ im Verhalten, in Bewegungen und letztendlich in der „Rittigkeit“ des Pferdes widerspiegelt.
Nehmen Sie die verbindende, verkörperte Bewegung des Pferdes wahr, verinnerlichen Sie sich mit dem Pferd (die beste Möglichkeit, um ihre unterstützende Aufmerksamkeit beim Reiten zu schulen). Achten Sie auf den Beginn der Bewegung, die selbstwirksam von hinten erfolgen muss, und spüren Sie, wie interaktiv sie in die Bewegung des Pferdes „hineingezogen“ werden.
Sie merken schnell, wie Sie immer mehr in die Bewegung des Pferdes eintauchen und damit eine aktive und lebendige Aufwärtsstrukturierung der Verbundenheit in Gang setzen, der die aufrichtenden Bewegungen im Pferd verankert. Wenn das Nervensystem als Verbündeter gewonnen ist, kann man mit dem Pferd zusammen neue Reaktionsmuster entwickeln, aber auch diejenigen vertiefen, die sich bereits für den Bewegungsapparat bewährt haben.
Die zu 100% reitbezogenen „biomotorischen Übungen“ zielen ab dem ersten Moment darauf ab, das Körpersystem des Pferdes zum Reiten zu erweitern, ohne den Organismus zu schädigen. Sie „dehnen“ zwar den Handlungs- und Bewegungsspielraum des Pferdes aus, nicht aber seine Muskeln. Die zusammenwirkende, aufrichtende Umstrukturierung der Strukturen bewirken ein spannungsfreies Zusammenwirken und die dynamische, in sich ruhende Bewegungsenergie.
Fazit: Ein Training in der überstreckten Form des Pferdes schädigt die Bewegungsfunktionen des ganzen Bewegungsapparates, weil es die Vorgänge, die das Pferd zur Bewegung braucht, schlichtweg ignoriert. Wenn wir die Schönheit und die Vielfalt der Pferdebewegung „ausbilden“, und verfeinern möchten (Kadenz) müssen wir erst ein gesundes Bewegungsfundament schaffen.
Monika Buhl
Beim Mentoring begleite ich Sie gerne bei der Umstrukturierung der ersten Phase, coache Sie – unter der Ausbildung auch Ihrer körperlichen Reitfähigkeit, in der verbundenen Gemeinsamkeit mit dem Pferd und zu den Bewegungen der „biomotorischen Übungen“, die das Pferd aus seiner Vorhandlastigkeit herausholen, sein Gewicht nach hinten verlagern, um es dann beim Reiten auf die Hanke setzen zu können.
Allerspätestens das Gesäß ihres „Reitersitzes“ wird bemerken, dass es nicht mehr auf einem „abschüssigen“ Pferd sitzen muss und wie überaus sinnvoll es ist, dem Weg zu folgen, den das Gehirn des Pferdes vorschlägt, dass nun – neu ausgerichtet und umstrukturiert – sich selbst bewusst seine ausdrucksvollen Bewegungen mit uns gestalten kann.