Wer wünscht sich nicht, den Körper des Pferdes und seine Funktionalität durch die eigene „Arbeit“ und das Reiten zu verbessern. Mit der „richtigen“ Reitweise lässt sich der Körper des Pferdes besonders schön in Form und Spannung bringen – zumindest ist das die gängige Meinung und so wird das auch gerne dem gläubigen Pferdebesitzer verkauft.
Dass die Verformung des Pferdekörpers und das Blockieren von Bewegung die Ursache für schwerwiegende und tiefgreifende Probleme des Pferdes sind, ist den wenigsten bewusst.
Wenn die Bewegungsfreude und Motivation des Pferdes nicht wie versprochen zunehmen, rettet man sich gern in Aussagen, dass der „Reitweisen-Anwender“ was falsch gemacht hat. Man kann sich aber notfalls auch selbst mit „das wird schon, das braucht halt seine Zeit“ beruhigen.
Das Problem dabei ist: der Pferdeorganismus gibt uns keine Zeit, weil Bewegungsentwicklung ein Prozess ist, den wir deshalb als Prozess und nicht als Ergebnis denken müssen. Jede Bewegung, die gegen die angelegten Wirkmechanismen des Pferdes läuft, hat negative Konsequenzen im Bewegungsapparat. Und trotzdem: Eine Beschäftigung mit der Körperlichkeit des Pferdes ist meist Fehlanzeige bei den extrem Reitlastigen „Ausbildungen“.
Auch die Höhen und Tiefen des Stallalltags sehen keine Beschäftigung mit dem Pferderücken und seinen dynamischen Atemmuskeln vor: geringe Bewegungsspielräume, Stress im Umgang mit anderen Pferden und der Druck der Bewegungswünsche des Menschen sind stattdessen an der Tagesordnung. Dazu kommen die oft unerkannten körperlichen Belastungen: Genickdruck, die Schiefe im Körper, die fehlende Zwerchfellatmung, Spannungsmuster die das ganze Skelett verziehen, schmerzender Druck, der auf Kiefer, Genick und Zunge ausstrahlt – die Liste der Negativereignisse im Leben des Pferdes ließe sich endlos fortsetzen.
Und das spiegelt sich dann nicht nur im Pferdealltag, sondern auch beim Reiten wider. Natürlich wird durch das Reiten – also einem zusätzlichen Gewicht – nichts besser, sondern im Gegenteil, mit der Last des Reiters und dem fremden Gleichgewicht (meist Ungleichgewicht) werden die körperlichen Probleme des Pferdeorganismus potenziert. Oder ist Ihnen bekannt, dass bei einem verstimmten Klavier durch stures Weiterspielen wieder wunderschöne Klänge ertönen?
Bewegung als Heilmittel
Beim Auto wissen wir es – wenn sich das Auto schief abfährt, muss es in die Werkstatt, der das Auto wieder „geraderichtet“. Dazu kann der beste Fahrer der Welt nicht viel ausrichten. Genauso ist es beim Pferd. Was in seinem Körper schief ist, kann der zusätzlich belastende Mensch auf seinem Rücken nicht gerade machen. Deshalb braucht das Pferd erst seine „Reit-Reife“-
Das ist ein einfaches physikalisches Prinzip. Zuerst beschäftigt sich ein Körper mit der Last, die ihn belastet, um sich dagegen zu schützen, die Last zu kompensieren usw.
Falsche Schonung
Das Problem des Pferderückens beginnt sehr früh. Schuld an dem falschen Umgang mit dem Pferderücken – der Bewegung in jeder beliebigen Form braucht, um durchlässig zu werden sind neben vielem anderen auch die vermeintlich wissenschaftlichen Empfehlungen zum Reiten. Ein fixiertes Maul und ein festgehaltener Kopf des Pferdes baut eben außer Spannungen nichts auf. Und ein Ausbinder und seine Varianten-Kollegen haben ihren Namen zu Recht – denn sie binden den Rücken des Pferdes aus – auf gut deutsch: sie machen ihn untätig.
Dabei müssten wir unseren Blick nur mal auf eine freilebende Mustangherde werfen. Die Hauptbeschäftigung der jungen Pferde sind sogenannte „Rangordnungsspiele“. Damit trainieren sich die jungen Hengste ihren Rücken und die Beweglichkeit ihrer Wirbelkette. Da es darum geht, so gut es geht, das eigene Gleichgewicht zu bewahren und dann zu verbessern, können wir wie immer eine Menge von der Natur und der Ausprägung ihrer Bewegungen lernen.
Das „Training“ des Pferderückens durch Gleichgewichtsverlagerungen
Bei der Fressbewegung (Kopf gesenkt) wird die erforderliche Haltung von der Vorhand abgestützt und durch den stabilisierten Brustkorb unterstützt. Mit steigenden Bewegungsanforderungen reicht das dem Organismus aber nicht mehr, die Strukturen des Rückens müssen dazu-geschaltet werden. Denn durch die Vorhandlastigkeit strebt der schwere Kopf mit seinem langen Hals ganz von allein nach unten und belastet die notwendigen Balancepunkte im Genick und Becken. Die Formel des Körpers: je mehr Bewegung, desto mehr Bewegung über den Rücken.
Das Pferd sucht sein Gleichgewicht hinten – nie vorne. Und schon sind wir bei der Ursache
Die Ursache für Bewegungseinschränkungen und gesundheitliche Probleme liegen also im Rücken des Pferdes. Genauer gesagt in der Freiheit der Wirbel, die wie an einer Kette aufgereiht sein sollten – an der Schädelbasis anfangen und bis zum Ansatz des Beckens gehen. Und noch genauer: es sind die Muskeln und Strukturen, die vom Rücken her arbeiten und für die Gesunderhaltung des Pferdes, für die reibungsfreie Bewegungsanatomie und die organischen Bewegungen zuständig sind – und deshalb für den Biomotoriker ganz besonders wichtig sind.
Die anatomische Betrachtung des Pferderückens (Abhandlung über die Lokomotorik des Pferdes 1866) – die mit dem Kopf die Wirbelkette (früher „der Stamm“ genannt) bildet, geht aus den Hinterschenkeln des Pferdes hervor. Diese Sichtweise, die Bewegung von hinten nach vorne zu denken, macht absolut Sinn, denn bei einem in seinem Körper „gereiften“ Pferd trägt das „Becken“ weit über die Hälfte des Körpergewichtes. Der übrige Rumpf sorgt für Beweglichkeit.
Die Wirbelkette – der Stamm – bildet mit dem Becken, dem Bauch und dem Brustkorb ein für jede Bewegungsleistung unzertrennliches Ganzes: das ist der Rumpf, unter dem die Hinterhand des Pferdes arbeitet. Von da aus gehen die Hauptbewegungsmuskeln in die Hinterhand und in die Vorhand – ohne dass in irgendeiner Körperregion eine Verstärkung sein darf – denn alle diese Muskeln greifen in und übereinander. Jedes Eingreifen des Reiters kann da nur schaden.
Wir können uns das so vorstellen: Wenn unser Fuß beim Treppenabsteigen falsch aufsetzt und jemand versucht uns zu „helfen“, indem er uns ruckartig unters Kinn packt, würden wir das vermutlich sehr übelnehmen, denn dann wäre die Koordination zwischen Kopf und Bein gestört.
Die sehr wichtige und nachvollziehbare Becken- und Genickbalance
Aus den beweglich (mit genügend Raum zu den anderen Wirbeln) untereinander verbundenen Wirbeln der Wirbelkette wird ein „Centralhebel“ gebildet (K. Günther) und muss bei allen größeren Bewegungen die Durchlässigkeit durch den Hals bis zum Kopf fortsetzen, damit sich der Kopf des Pferdes auf dem Hals selbstwirksam in seinen Wirbeln erheben kann. Nur wenn die Bewegung vom Becken ausgehend bis zum Kopf durchgeht – geht ein Pferd „über den Rücken“.
Das Fazit: Für die Gesundheit des Pferdes ist nicht wichtig, welche Bewegungen wir dem Pferd beibringen – weil sie viel zu leicht zu Verformungen des Bewegungsorganismus führen können – sondern welche Bewegungen des Pferdekörpers wir verhindern oder einschränken.
Biomotoriker wissen deshalb um die Wichtigkeit der Genickbalance zur „Rückenbewegung“ und entlasten deshalb zuerst das Genick des Pferdes, damit sich das Pferd über seinen „Centralhebel“ von hinten her auf- und ausrichten kann.
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