„Handgespräche“ entstehen nur durch einen losgelassenen und unabhängigen Körpersitz
Der Reiterkörper steckt in einem großen Dilemma. Er muss hinreichen offen für neue Bewegungs-Erfahrungen sein, damit er alles aufnehmen kann, was es zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung seiner inneren Körper“ordnung“ braucht. Gleichzeitig muss er aber auch hinreichend (elastisch) stabilisiert sein, um zu verhindern, dass „Störungen“ des Pferdekörpers, den unabhängigen, losgelassenen und durchlässigen „Sitz“ des Menschen bedrohen, der dann nicht mehr seinen so wichtigen Bewegungsfluss aufrechterhalten kann.
Auch beim Reiter ist das nur mit einer gut vernetzten Plastizität und Elastizität seiner Bewegungen möglich. Es ist ein Reiter, der seinem eigenen Körper in jeder Situation blind „vertrauen“ kann, weil der Reiterkörper in seinem Zusammenwirken schlicht und einfach bewegungsfähig ist.
Was deshalb den „guten“ Reiter von einem „schlechten“ Reiter unterscheidet, ist der Umstand, dass es ihm im Laufe seiner Reiterentwicklung gelungen ist, seine Wahrnehmung, sein Körpergefühl und die Aufmerksamkeit und Reflexion des eigenen Körpers – also das, was im Körper geschieht, für das Pferd zu schärfen und alle Sinne – und damit den Körper gleichzeitig und gleichgewichtig zu gebrauchen. So ein Reiter hat die höchste Stufe der Wahrnehmungsfähigkeit seines Körpers erreicht.
Dorthin kann ein Reiter mit seinem Körper nur gelangen, wenn es ihm immer wieder gelingt, ein Gleichgewicht zwischen Gefühl und Verstand, also zwischen Spüren und Theorie, zwischen Abhängigkeit vom Pferdekörper und der Unabhängigkeit des „Sitzes“, zwischen Abstimmung und Abgrenzung zu finden. Um seine Reitersinne zu schärfen, muss er lernen, dass er sowohl aushalten als auch loslassen können muss. Und am allerbesten im richtigen Moment.
Dieser Reiter muss die Fähigkeit entwickeln können, sich der Wahrnehmung des Pferdekörpers voll und ganz zu widmen, sich ihr hinzugeben, die Bewegungen in sich aufzunehmen und zu spüren, was die Bewegungen des Pferdes in ihm auslösen. Und er muss die Bewegungsbilder, die in seinem Körper entstehen, mit seinem Bewegungsfluss zu einem einheitlichen Bild – das eher einer Empfindung gleicht und eine Bewegungserfahrung ist, verschmelzen lassen.
Aber der Reiter muss sich auch wieder von ihnen lösen können, um sich wieder und erneut für neue Bewegungserfahrungen zu öffnen und sie trotzdem in sich bewahren, indem er sie in vorhandene Bewegungen integriert. So entsteht ein Reiter, der Sinnes- und Bewegungseingänge seines Körpers wie auch aus dem Körper des Pferdes aufnehmen und spüren kann, die sich zu einem feinmotorischen Reiterkörper- und Reitersitz zusammenfügen.
Darum prüfe, wer sich an einen Ausbilder bindet
Viele Menschen haben die Fähigkeiten ihrer Hände verloren, weil die nur noch ausführen müssen, was ihnen gesagt, oder vorgeschrieben wird. Deshalb würde ich mir immer den Körpersitz eines Ausbilders oder Reitlehrers anschauen und einer genauen, einer sehr genauen Blick-prüfung unterziehen – bevor ich ihr/ihm mein Pferd, oder meine Ausbildung anvertraue und ich mich vielleicht plötzlich in rein mechanistischen Unterrichtsmethoden wiederfinde.
Übrigens auch der gerne benutzte Einwand, dass in der Jugend alles besser war und der Zahn der Zeit auch am Reitlehrer nagt, ist nichts, womit der Reitschüler was anfangen kann. Denn die Bewegungsfähigkeit, das Einfühlungsvermögen, das eigene Körpergefühl und das empathische Körperspüren konnte ja nicht verkümmern und irgendwann ganz und gar abhandenkommen, ohne dass es bemerkt wurde. Die „Handgespräche“, der „sprechende“ Sitz des Lehrers haben es auf jeden Fall bemerkt, weil sich automatisch die Handlungen verändert haben – und damit auch das Pferd…
Das ist wohl das Schicksal aller „Spezialisten“. Erst benutzen Sie all ihre Fähigkeiten und ihr Können, um eine Nische zu finden, in der sie komfortabel ausbilden können. Und wenn sie die gefunden haben, passt sich ihre Bewegungsfähigkeit an ihre eigene Theorie an – und verkümmert sehr oft. Und – je einseitiger die gelehrten Praktiken sind, desto schwerer fällt es allerdings auch, um später aus der nicht bewegungsfähigen Nische eines starren Körpersitzes herauszukommen.
Deshalb Augen auf bei der Wahl ihres Ausbilders. Es gibt doch bereits so viele, die über den Tellerrand geschaut und ihren Körper, den Körper ihres Reitschülers und der ihnen anvertrauten Pferde nicht auf Kosten von anderen Körperteilen in manchen Bereichen stärker entwickeln.
Die verlorene Fähigkeit der Bewegungsfähigkeit, die im Übrigen eine für den Menschen charakteristische Fähigkeit ist, um die Bewegungen des Pferdes mit den eigenen Bewegungen zu koppeln, in sich zuzulassen und zu Bewegungsmustern zu verknüpfen, kann aber in den Reiterschulungen und in den „Handgesprächen“ sehr leicht wiedererlangt werden.
Und dann kann der Reitlehrer wieder das machen, was eigentlich sein Job ist – Ihnen das Reiten mit ihrem Pferd beizubringen.
Wenn Sie gerne weitere (kostenlose) Artikel wie diesen von mir erhalten wollen, um keinen zu verpassen, können Sie sich gerne mit ihrer Email-Adresse unter biomotorik@gmx.de dafür anmelden.