Die Kadenz
Würde, Wachheit und Präsenz in Bewegung – die Schönschrift der Pferdebewegung
„Die Kadenz des Pferdes ist der Fußabdruck der Natur, Kadenz kann man nicht trainieren. Kadenz ist das Zusammenwirken des Pferdekörpers von Kopf bis Fuß und nicht das Anheben der Beine durch Muskelkraft“
In der dritten – der „kadenzierten Entwicklungsphase“ kann das Pferd nun endlich alles zeigen was es ausmacht. In den kadenzierten (erhabenen) Bewegungen ist alles, was man sieht, eine Verstärkung der Fähigkeiten und des Potenzials des Pferdes. Nichts ist gekünstelt, oder künstlich erzeugt, sondern es ist eine Erweiterung der biologischen Bewegungen, die nun ein neuer Teil – ein Zusatz – zu den eigenen Bewegungen werden, von denen das Pferd nun weiß, dass es sie hat, und sehr selbstbewusst damit umgehen kann. Das Pferd hat Bewegungen bei sich kennengelernt, von denen es nicht gewusst hat, dass es sie hat – und wendet sie nun begeistert an.
Der Mensch ist während der ersten beiden Entwicklungsphasen zum engen „Vertrauten“ geworden. Der Mensch in der Nähe des Pferdes bedeutet nun Sicherheit – die Sicherheit, auch mal vollkommen absurde Bewegungsmöglichkeiten auszuprobieren und ausprobieren zu dürfen. Das Pferd empfindet sehr deutlich, dass beide ein gemeinsames Ziel haben: den Körper des Pferdes in die Weiterentwicklung seiner Bewegungen zu bringen. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit schweißt zusammen.
Aus der Bewegungsharmonie der zweiten Entwicklungsphase, kommen nun in der „kadenzierten Entwicklungsphase“ Momente dazu, in denen das Pferd mit seinem immer besser entwickelten Körpergefühl merkt, dass es sich vielleicht in seinem Becken festhält – oder seine Atmung viel zu schnell und oberflächlich ist – und ES SELBER (unbewusst) regulieren und steuern kann. Dieses Gefühl ist natürlich sensationell für das Pferd und nun probiert die vorgeschlagenen Bewegungsanreize nicht mehr tastend und vorsichtige aus, sondern stellt sich selber Bewegungsaufgaben – die jede von ihnen in seiner Bewegungsentwicklung weiterbringen.
Die Kadenz – die Schönschrift der Bewegungen
Mit den kadenzierten Bewegungen des Pferdes kommen Pferd und Reiter definitiv in der schönsten Entwicklungsphase an. Alle Bewegungseinschränkungen haben beide gemeinsam beseitigt, der Pferdekörper ist den biologischen Gegebenheiten geordnet und „sortiert“ in seinen Bewegungen UND seinen Funktionen. In der zweiten Entwicklungsphase haben Sie das Pferd bereits geritten und ihm immer wieder die Anreize zum Ausprobieren seines Körpers gegeben. Das Pferd hat Vertrauen in seine Bewegungen bekommen und probiert gerne, alles was es an Bewegungsmöglichkeiten gibt aus.
Von hochkonzentrierten, im Körper gesammelten Bewegungen bis zum kraftvollen, inner-dynamischen „Abjagen“ ist alles dabei. Jedes Stolpern hat das Pferd gern als Hinweis angenommen, um sehr konzentriert noch viele weitere Bewegungsmöglichkeiten auszuprobieren. Der Reiter auf seinem Rücken hatte bisher zwei Aufgaben: darauf aufpassen, dass sich der Kiefer des Pferdes nicht festzieht (das geschieht sehr leicht, wenn das Pferd hochkonzentriert mit was beschäftigt ist, oder etwas Neues kennenlernt) und sich selbst – den Reiterkörper – in das Beste Gleichgewicht im Schwerpunkt des Pferdes zu bringen, um es in seiner „Bewegungsfindung“ nicht zu stören.
Die Tragefähigkeit
Während Sie sich beide in den ersten beiden Entwicklungsphasen noch „wie Bolle“ über zufällige Schwebetritte gefreut haben – die es in tollen Momenten beim biomotorischen Freilaufen gezeigt hat – kann es nun diese tragfähigen Schwebetritte auch gezielt zeigen, und das Pferd kann es auch bei sich gezielt anfordern. Diese eigene Steuerung seines Körpers begeistert das Pferd und nimmt jeden Anlass gerne an, um sie immer mehr zu verfeinern und auszubauen.
Das Pferd und Sie haben ganz viel Freude an der Bewegung. Und sie beide überlegen jeden Tag aufs neue was sie alles Schöne mit ihren gemeinsamen Bewegungen anstellen können. Sie haben ihr Pferd in dieser Entwicklung begleitet, haben miteinander gespürt wie aus hakeligen Bewegungen immer geschmeidigere Bewegungen geworden sind.
Sie merken ihrem Pferd die Sicherheit in den Bewegungen nun an.
Jetzt ist der auch wieder der Zeitpunkt gekommen für alle möglichen Reitanweisungen von „außen“. Jetzt wo Pferd und Reiter sich gefunden haben und sich als wirkliches Team ihre Bewegungen austauschen, kommen alle Hinweise gerade recht und alle Bewegungsvorschläge sind super geeignet, die sie beide alle am liebsten auf einmal miteinander ausführen möchten. Die Konzentration liegt jetzt nicht mehr in der Ausführung der Bewegungen, die ja zusehends sicherer geworden, sondern im bewussten, immer präziser werdenden Zusammenspiel des Körpers in den Bewegungsabläufen.
Die Zeit für Seitengänge ist gekommen
Je variationsreicher die Bewegungsabläufe nun sind, desto mehr können sich Pferd und Reiter ausprobieren. Jede wiederholte Wiederholung ist nun Gift für beide Körper und würde sie nur wieder in alte, längst vergessene Bewegungsschienen zurückführen. Aber danach verlangt weder das Pferd noch der Reiter. Es gibt ja so viel mit dem und im Körper zu entdecken. Ein, zwei Seitengänge – vielleicht danach angaloppieren und gemeinsam in Leichtigkeit anzuhalten um Seitengänge auf der anderen Seite auszuführen. Bei den gemeinsamen Bewegungserfahrungen ist alles dazu geeignet – dass sich beide Körper einzeln – und vor allem einzeln, gemeinsam in den Bewegungen finden…
…die durch die Sammlung im Körper und durch die elastische Tragfähigkeit immer ruhiger, gelassener und gesetzter werden. Ruhiger bedeutet aber nicht ermüdend – wie früher einmal, sondern im Körper zentriert – und jederzeit bereit, sich bewusst auch dynamisch zu „entladen“ – und in Gangverstärkungen das ganze kraftvolle Bewegungspotenzial herauszulassen.
Kadenz ist die Schönschrift der Pferdebewegung. Pferd und Reiter ergeben ein Kunstwerk, das in seiner zentrierten, gesammelten Bewegung lebt – nicht im Stillstand. Der wichtigste Bestandteil der kadenzierten Bewegungen des Pferdes mit seinem Reiter sind spielerische Leichtigkeit und Bewegungsharmonie. Der „Weg“ der Bewegungen geht dabei immer über das Genick und die ganze, vollständige Wirbelkette ist an der kleinsten Bewegung beteiligt. Spätestens wenn Sie diese gemeinsamen Bewegungen erleben, werden sie für die sorgfältige „biomotorische Vorbereitung“ dankbar sein – die sich in jedem Moment so richtig angefühlt hat.
Die Kadenz – ein Relikt aus einer vergangenen Reitkultur?
Die landläufige Meinung behauptet ja, dass die Kadenz angeboren ist, und dass ein Pferd sie nur zeigen kann, wenn das Pferd von Geburt an mit Kadenz beschenkt wurde. Das wäre zumindest EIN Grund, warum sie so selten zu sehen ist – denn kein Pferd wird mit Kadenz geboren oder bekommt Sie vererbt. Kadenz ist mit dem Singen des Menschen vergleichbar. Jeder könnte es – manche haben bessere körperliche Voraussetzungen – aber letztendlich entscheidet die Kultivierung über die Qualität. Genauso wenig wie Gesang kann man die kadenzierten Bewegungen uniformieren.
Sicherlich sind einige Pferde mit einem guten Körperbau geboren, andere mit schnellen Bewegungen, wieder andere für kraftvolle, dynamische Bewegungen. Das alles ist wirklich sehr schön zum anschauen. Aber die Pferde zeigen diese Bewegungen weil sie sie haben – nicht weil sie sie können. Die Pferde mit tollen Anlagen können kadenzierte Bewegungen nicht selber ansteuern – werden sie gestört, wie zum Beispiel durch die Last des Reiters – fehlt die elastische Tragfähigkeit des Pferdekörpers und Körper und Bewegungen fallen zusammen wie ein Kartenhaus.
Deshalb behaupte ich, dass die Kadenz fast „ausgestorben“ ist, weil sie eben im „muskulären System“ nicht künstlich produziert oder „erzwungen“ werden können. Man kann ein Pferd das seine biologischen Bewegungen noch nicht gefunden hat, nicht mit der Kadenz überfallen. Ich jedenfalls wünsche mir, dass wir in Zukunft genauer hinschauen – und im Gegenteil die gezwungenen, geformten Bewegungen aussterben werden, für die es für mich absolut keine verständliche Erklärung gibt, dass das Pferd seine Bewegungen wie ein geistloser Roboter ausführen muss.
Mit der Biomotorik des Pferdes machen wir den Weg frei für die kadenzierten Bewegungen des Pferdes…
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