Biomotorik – was ist das?

Wir müssen die Ausbildung des Pferdes neu denken!

Nirgends sonst wird uns diese Notwendigkeit so bewusst, als wenn wir ein Pferd beobachten, dass seine Biomotorik verloren hat – den eigenregulierten Atemfluss, sein Körpergefühl und seine Körpersicherheit, bei dem dabei die angeborene Skelettmechanik falsche Wege geht. Dabei wird so überdeutlich, dass die körperliche Entwicklung des Pferdes ein fortlaufender Prozess ist und dass – wenn man als Mensch nicht in diesen Körperprozess einsteigt und ihn begleitet – nur Stillstand im Körper des Pferdes uns schließlich Rückschritt entstehen kann.

Die Biomotorik ist ein völlig anderer – aber seit langem notwendiger Ansatz der Pferdeausbildung. Und zwar wirklich dringend notwendig – gerade für ein Pferd, das sich zu 100% über seinen Körper und seine Körperfunktionen definiert. Das Pferd „denkt“ über seine Sinne und handelt ausschließlich mit seinem Körper und ist deshalb um so vieles reaktiver und sensibler wie wir. Bei einer Pferdeausbildung, die ein vollständiges Ganzes aus dem Pferd machen möchte, und es nicht beschädigen möchte – müssen wir das Pferd genau da abholen – in und mit seinem Körper und seinen Körperfunktionen.

Was ist neu daran?
Machen Sie sich vertraut mit der neuen Art der Pferdeausbildung. Neu daran ist die Reihenfolge, in der der Pferdekörper angesprochen wird. Also nicht mehr der Weg über die Muskeln – sondern in der biologischen Reihenfolge: Sinneswahrnehmungen – Nervensystem – Wirbel – große Gelenke – kleine Gelenke. Und dieses Zusammenwirken lässt dann (die richtigen) Muskeln entstehen.

Um die Biomotorik zu verstehen, ist es also am besten einen Pferdekörper anzuschauen, der seine Biomotorik verloren hat: der also das Zusammenwirken seiner Strukturen mit seinem Organismus, die feine und komplexe Welt seiner Sinneswahrnehmungen und Nervensysteme, verloren hat und damit die ganze leise Unterhaltung, das ständige Plaudern –  das im Inneren eines Körpers vor sich gehen muss.

Für die einen sind es die spannungsgeladenen Kämpfer – für die anderen sind es Spielverderber für die beschriebenen angeborenen Zusammenhänge im Pferdekörper. Die Rede ist von Muskeln, die den Pferdekörper erst in Bewegung bringen und damit mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht werden müssen. Je stärker und größer sie sind und je mehr man davon hat, desto gesünder ist das Pferd.
Glaubt man…

Dieses Gerücht – diese unglaublichen Eigenschaften die man den Muskeln zuspricht, halten sich genauso hartnäckig in den Köpfen der Reiter, wie der so vielzitierte Eisen im Spinat. Nein, eigentlich muss ich sagen, in allen Köpfen der Menschen, nicht nur der Reiter. Man spricht den Muskeln geheimnisvolle Kräfte zu, die über einen ausgeschüttet werden, wenn man sie trainiert, trainiert, trainiert…
So dehnt, stärkt und vergrößert man die Muskeln mit buchstäblich allem was es gibt. Auch vor Medikamenten und Muskelaufbauenden Mitteln schreckt man nicht zurück, wenn es um die strotzende Kraft geht, die Muskeln versprechen.

Der Mensch meint es mit dem Pferd ja nur gut

Natürlich möchte der Mensch auch seinem Pferd diese unglaublichen Kräfte zukommen lassen, diese Urgewalt – das Sinnbild von Macht und Beherrschung – die Muskeln, die ihren Platz in unseren Köpfen und an unseren Körper gefunden haben.
Und weil man es immer besser machen möchte – immerhin geht es um das Pferd – ist ein ganzes System entstanden, in dem die Muskeln des Pferdes möglichst regelmäßig „bewegt“ werden müssen. Damit sich das Pferd auch „richtig bewegen“ kann, müssen die Muskeln geformt werden, oder am besten gleich das ganze Pferd „in Form“ gebracht werden.

Viel hilft viel?

Die Muskeln müssen ständig „erzogen“ werden, damit sie nicht etwa aus der Reihe tanzen. Es ist wirklich kein Geheimnis, das Muskeln dann immer „braver“ werden, wenn sie immer dasselbe machen müssen. Tagein – tagaus, dieselben Bewegungen – und schon geben die Muskeln ihr Eigendenken und Eigenwollen auf. Auch der Körper mit seinen organischen Informationen mischt sich in das wilde Muskelgeschehen nicht mehr ein. Das wiederum ist für den Menschen oder auch den Reiter sehr praktisch – denn das erleichtert ihm die ständige Kontrolle über die geformten Muskelaktivitäten des Pferdes.

Mittlerweile werden fast alle Pferde in einer Spielart des “muskulären Systems“ „erzogen“

Wir alle haben die eine oder andere Variante des „muskulären Systems“ gelernt. Der Mensch möchte dabei – trotz eigener immer stärker werdenden Beweglichkeitseinschränkungen die Kontrolle über den Körper des Pferdes und seine Bewegungen übernehmen. Das „muskuläre System“ in all seinen Facetten ist dabei so populär geworden, dass sich die meisten Pferdebesitzer nicht vorstellen können, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, um sich mit dem Pferd auszutauschen und umzugehen.

Dass das Pferd eine Anhäufung von körperlichen und emotionalen Defiziten, von Auswirkungen und Langzeitschäden erfährt, wird dabei stillschweigend hingenommen. Dass dabei reihenweise Missverständnisse im Umgang, und ganz klar auch beim Reiten – also eigentlich einem feinsinnigen, sensiblen Körperaustausch – entstehen, ist zwar tragisch – wird aber mit einem deutlich verstärkten „Erziehen“ der Muskeln und Gehorsam des Pferdes beantwortet. Zur Not auch mit der Unterstützung von mechanischen Maßnahmen. (Die Defizite,  Auswirkungen und Langzeitschäden aus der Sicht der Biomotorik des Pferdes das beschreibe ich unter „Missverständnisse“ – möglicherweise erkennen Sie in den entstehenden „Missverständnissen“ auch einige Probleme ihres Pferdes wieder)

Dem Pferd geht es schlecht – richtig schlecht.

Ich habe Ihnen, damit Sie die Biomotorik besser verstehen können, oben versprochen, zu beschreiben wie es aussieht, wenn ein Pferd seine Biomotorik verloren hat. Was man aus biomotorischen Gesichtspunkten deutlich am Pferdekörper sehen und sogar fühlen kann, wird mit den so umfangreichen, erklärbaren, wissenschaftlichen Ansätzen der Biomotorik zur traurigen Gewissheit.

Denn das Pferd leidet heute in allererster Linie an dem ständigen Luftmangel der andauernden anaeroben Bewegungen. Hergestellt im „muskulären System“! Was angesichts der Tatsache, dass wir selber – der Mensch – um Luft ringen, eigentlich nicht besonders erstaunlich ist. Der Pferdekörper nimmt sich so durch den ständigen und oft chronischen Ressourcenverbrauch, mit der Zeit selber den Atem und vergiftet sich an sich selbst. Viele Erkrankungen und Beschwerden sind also „hausgemacht“ – oder müsste man eher sagen „vom Menschen gemacht“?

Das kranke Bild vom Pferd – ein „krankes“ System?

Tagtäglich sehen wir Symptome beim Pferd, die wir als „ungesund“ erkennen können, oder zumindest könnten. Sie haben mit der Zeit unser „Bild“ vom Pferd geprägt, und sind dabei so normal geworden, dass sie niemand mehr auffallen (außer natürlich äußerst schmerzhaft dem Pferd selber) So ist es zur traurigen Normalität geworden, dass die Schulter des Pferdes eingebunden ist – die Wirbelkette unbeweglich, das Genick versteift oder der Kiefer bewegungsunfähig.

Das „Bild“ eines Pferdes, dass man überall sehen kann, und dass wir sogar ob seiner Leistungen bejubeln, ist in Wirklichkeit ein in seinen Funktionen gelähmtes Pferd, das man mit reiterlichen Maßnahmen weiter zu „korrigieren“ versucht – und damit die körperlichen Einschränkungen einfach wegleugnet. Die formende, kontrollierende Reiterei soll so die erworbenen, „erzogenen“ Einschränkungen richten.

Die Biomotorik des Pferdes

Die Biomotorik ist das leise Zusammenwirken des ganzen Körpersystems. Sie ist die ständige Unterhaltung von Strukturen, Organen, Nervensystemen, der Sinne, der Skelettmechanik und so vielem mehr in dieser sehr komplexen Wechselwirkung des Körpersystems Pferd. So vielseitig und vieldimensional und gleichzeitig, dass unser Hirn das nie in seinem ganzen Zusammenwirken erfassen wird können. Biomotorik ist die Stärkung der natürlichen Kräfte des Pferdes, die so gar nichts mit der lauten Ansage an Muskeln zu tun hat.
Warum?

Weil „richtige“, aktive, lebendige Muskeln, die dem ganzen Körper zuarbeiten, die immer verfügbar sind, sich geschmeidig mit dem Pferdekörper mit bewegen.  Weil sich genau diese Muskeln mit ihrer genialen, „leisen“ Kraft ganz von selber entwickeln. Und zwar dann, wenn sie tun dürfen, was sie müssen!

Wenn es dem Pferd gut geht, geht es uns auch gut

Warum dann Menschen zum Reiten (wohlgemerkt – einem Reiten, ohne Beteiligung des Pferdes) die Zunge des Pferdes auf seinen Kiefer  runterdrücken und fixieren – den Kiefer dazu zubinden und damit jeden Kiefergelenksmechanismus blockieren? Den Rippenkorb mit Bauchmuskeln zusammenquetschen (obwohl da die Atmung drin ist) oder die „großen Gelenke“ – die Wahnsinns-Kraftüberträger im Pferdekörper – so lange festmachen bis sie rückwärts arbeiten?
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht!
Wie man sich bewusst das Wasser abgräbt (besser gesagt dem Pferd die Luft), wie man die Körperfunktionen unterbindet, von denen man abhängig ist?
Man macht es eben! Wahrscheinlich weil man es irgendwie immer so gemacht hat, oder weil es ein „toller“ Reiter so sagt. (Ist der dann wirklich so „toll“?)

Oder um mit Johannes Conrad (1929-2005) zu sprechen

Wenn ich nur darf,
wenn ich soll…

Aber nie kann, wenn ich will.
Dann kann ich auch nicht,
wenn ich muss.

Wenn ich aber darf,
wenn ich will,
dann kann ich auch,
wenn ich muss.

Denn merke: Die können sollen,
müssen auch wollen dürfen.

Biomotorik ist das Wissen um die natürlichen Zusammenhänge im Pferdekörper, über die ich im nächsten Artikel schreiben werde. Aber Biomotorik ist noch viel, viel mehr…
…es ist die einzigartige Verbindung zum Pferd, Biomotorik ist die Atmung des Pferdes, die Welt seiner Bewegungen und Biomotorik begleitet das Pferd durch und in seinen Entwicklungsphasen. All das möchte ich auf der Webseite www.biomotorik.eu genauer ausführen.